Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Schmuckkästchen voller unschätzbarer Edelsteine vor mir aufgetan. In Vertiefungen versenkte Deckenspots stülpten eine Glocke aus sanftem Licht über einen wunderschön gemusterten Perserteppich und spiegelten sich mit einem leisen Funkeln in der goldgemaserten Wandverkleidung. Die Tapete war überaus erlesen. Ihre hauchzarten horizontalen Falten wirkten wie von Hand plissiert, und die in unregelmä ßigen Abständen über dem matt sandfarbenen Fond verteilten goldenen Streifen waren schlichtweg atemberaubend.
Benommen trat ich ein und schloss die Tür gegen den sterilen Korridor. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem anderen Universum gelandet. Links von mir hing über einem halbmondförmigen Tisch mit Intarsien aus Elfenbein und Perlmutt ein von gebeiztem Bambus umrahmter Spiegel, rechter Hand entdeckte ich zu beiden Seiten einer passend zu den Wänden tapezierten Tür zwei japanische Schriftrollen, auf die mit feinem Pinsel herrlich zarte Kalligrafien aufgetragen worden waren.
Etwas aus der Reihe fiel ein ordentlich zusammengefalteter schwarzer Regenschirm, der neben der tapezierten Tür in einer kniehohen schwarzgoldenen Cloisonnévase stand. Als ich diese Tür öffnete, entdeckte ich einen begehbaren Kleiderschrank aus Zedernholz. Dort hing eine bescheidene Kollektion strapazierfähiger Mäntel, die eindeutig in Hinblick auf die Launen des englischen Wetters erworben worden waren. In einer Emailleschale am Boden warteten zwei Paar altmodische schwarze Galoschen demütig auf ihren Einsatz an verregneten Tagen. Mich schmerzte der Gedanke, dass die Füße, die sie einmal geschützt hatten, nie wieder hineinschlüpfen und zuversichtlich durch Pfützen stiefeln würden.
Ich legte meinen von Regentropfen befleckten Parka zu den Galoschen und kehrte, den Blick auf ein Ensemble aus vier gerahmten japanischen Holzschnitten gerichtet, in den Flur zurück. Bewundernd blieb ich davor stehen, ehe ich in einen Gang trat, der zu einer Reihe von geschlossenen Türen führte, hinter denen die eigentliche Wohnung lag. Diese schmale Passage war mit derselben golddurchwirkten Tapete geschmückt wie der Eingangsflur, und auch hier war der Länge nach ein Orientteppich ausgelegt.
Eine Drehung nach rechts führte mich unter einem Torbogen hindurch in ein riesiges Wohnzimmer, das die gesamte Vorderseite des Gebäudes von Osten nach Westen einnahm. Ein Druck auf einen Schalter, und mehrere Wandleuchter offenbarten mir in tiefem Burgunderrot gestrichene Wände sowie einen Perserteppich, der groß genug war, um Ali Baba und mindestens zwanzig gut genährten Räubern Platz zu bieten. Flüchtig dachte ich an den sagenhaften verborgenen Schatz der Diebe aus dem Morgenland, während ich verträumt durch den Raum wanderte. Vor Staunen brachte ich den Mund gar nicht mehr zu. All die Pracht um mich herum vermochte ich noch nicht wirklich zu fassen und mit meiner ursprünglichen Vision von einer billig eingerichteten Wohnung ohne warmes Wasser zu vereinbaren.
Die hintere Wand schmückte eine vom torbogenförmigen Eingang durchbrochene Reihe von Bücherschränken aus Mahagoni. Schwere Goldbrokatvorhänge an der Frontseite verhüllten zwei schlichte Fenster mit Aluminiumrahmen, die auf die St. Cuthbert Lane hinausgingen. Ihre farblich genau auf sie abgestimmten Pendants verbargen ein ähnlich unscheinbares Fenster an der schmalen Ostfassade, und ein prächtiger, handbemalter zweiteiliger Paravent verdeckte die schlichte Glastür, die zu einem kleinen Balkon führte.
Ich hielt die Brokatvorhänge einen Moment lang auseinander, doch das graue Tageslicht war so bedrückend, dass ich sie gleich wieder zuzog und stattdessen noch mehr Lampen anschaltete. Bei künstlichem Licht sah das Zimmer schöner aus, und noch schöner würde es sich machen, überlegte ich, wenn es in den goldenen Schein von Kerzen getaucht war. Fast alles darin stammte schließlich aus einer Zeit, in der es noch keinen elektrischen Strom gegeben hatte. Mit dem»hübschen kleinen Pult«, auf das Miss Beacham in ihrem Brief angespielt hatte, musste sie das Sheraton-Revival-Zylinderpult gemeint haben, das zwischen den Fenstern neben einem Spiegel aus facettiertem Glas mit Goldrahmen stand. Aber zunächst wandte ich mich vom Pult ab und ließ mehrere andere Stücke auf mich wirken, bei denen wohl jedem Antiquitä tenhändler schwindlig vor Begierde geworden wä re.
Einem prächtig geschnitzten Eichenholzkamin gebührte der Ehrenplatz an der Westwand. Flankiert wurde er von
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