Tante Inge haut ab
Überall fliegen die Belege rum, die Hälfte ist weg, bei jedem zweiten Bewirtungsbeleg sind Kaffee- oder Weinflecken drauf, also ich kann so nicht arbeiten, von mir hat sie das nicht. Und dann muss ich noch die Umsatzsteuer von Gertrud machen, weißte, die Wirtin vom >Elefanten<, die kommt mit ihrem Zeug ja auch nicht rüber. Und dann ...«
»Walter, du bist Rentner. Und deine Frau hat eine Lebenskrise.«
»Inge? Blödsinn. Das hat sie noch nie gehabt. Da hast du irgendwas falsch verstanden.«
Charlotte zwang sich, ruhig zu bleiben. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen.
»Charlotte? Hast du jetzt aufgelegt?«
Einatmen. »Hat Inge denn gesagt, wann sie wiederkommt?«
Er zögerte mit der Antwort. » Nicht so direkt. Aber das muss sie auch nicht. Ich weiß ja, wo sie ist, wenn was passiert. Lass mal. Ich esse ja jeden Tag bei Neumanns, das haben die mir angeboten. Dafür gucke ich dann ihre Versicherungen durch.«
Im Vergleich mit ihrem Schwager war Heinz geradezu einfach.
»Walter, ich glaube, Inge hat ein paar Probleme. Ich finde es nicht gut, dass sie hier allein ist.«
»Probleme ... Was für Probleme? Das wüsste ich ja wohl. Und überhaupt...«
»Mit wem telefonierst du?« Plötzlich stand Heinz neben ihr und beugte den Kopf zum Hörer. »Das ist ja Walter, (üb mal.« Er hob den Hörer ans Ohr. »Walter, bist du das? Ja, Tag. Inge ist überfallen worden ... Wann? Gestern Abend ... Nein, aber sie war eine Nacht im Krankenhaus ... Schwere Gehirnerschütterung, Schock, mehr hat man so schnell nicht feststellen können, sie sieht sehr schlecht aus, und was innen alles kaputt ist, sieht man ja als Laie nicht... Du weißt doch, wie das ist mit dieser Gesundheitsreform. Die Kassen wollen nicht zahlen, und deshalb schmeißen die Kliniken auch Schwerkranke nach einer Nacht raus. Inge hatte doch keine Chance, richtig ... Ach, ihr seid privat versichert? Aha ... Wo sie jetzt ist?«
»Übertreib doch nicht immer so«, zischte Charlotte und nahm ihm den Hörer weg. Dann fuhr sie mit normaler Stimme fort: »Walter, ich bin wieder dran.«
Seine Stimme klang jetzt ängstlich. »Wieso hast du mir das nicht gleich erzählt? Da redest du vom Garten und meine Frau wird fast totgeschlagen.«
»Walter, du hast vom Garten angefangen, und ich wollte dich nicht aufregen, du hast doch so einen hohen Blutdruck. Inge ist gestürzt, während irgendein Krimineller in das Apartment eingestiegen ist. Sie hat eine leichte Gehirnerschütterung, ansonsten ist sie in Ordnung. Sie wollte nicht bei uns bleiben, sondern ist zu Petra zurück. Sie will ihre Ruhe haben.«
»Ist denn was geklaut worden? Inge lässt doch ihren Schmuck immer überall herumliegen. Und ihr Geld.«
»Nein, ich glaube nicht. Aber es wäre besser, wenn du kommst. Sie ist irgendwie anders als sonst. Kennst du eigentlich ihre Freundin Renate?«
»O Gott, ja, wieso? Ist die auch da?«
»Ja. Du kennst sie also?«
Walter musste husten. »Tschuldigung, nein, nur vom Telefon, da ist die immer unmöglich zu mir.«
Heinz hing die ganze Zeit mit dem Ohr in der Nähe des Telefonhörers, jetzt mischte er sich ein: »Walter, die ist nett. War auch im Krankenhaus. Und sie ist sehr interessiert an Sylt.« Charlotte zuckte zusammen. »Brüll doch nicht so. Also Walter, was ist jetzt? Setzt du dich in den Zug?«
»Ich muss mal nach einer Verbindung gucken. Einen Sparpreis kriege ich wohl nicht mehr, wenn ich so kurzfristig buche, oder?«
»Walter!« Langsam wurde Charlotte ärgerlich. »Es geht um deine Frau, und du redest vom Sparpreis. Jetzt pack deine Sachen und sieh zu, dass du zum Bahnhof kommst. Ruf an, wenn du die Ankunftszeit weißt, wir holen dich dann in Westerland ab.«
»Ja. Gut. (üb mir noch mal Heinz.«
Charlotte reichte den Hörer weiter und beobachtete ihren Mann, der konzentriert zuhörte. »Das geht bei ihr immer von selbst vorbei. Ist auch nicht oft... Da frage ich mal. Aber das geht auf jeden Fall. Also dann, tschüss und gute Fahrt.« Er drückte die rote Taste und legte den Hörer wieder auf die Station. Dann ging er wortlos raus.
»Heinz?«
In der Tür drehte er sich um. »Ja?«
»Was wollte Walter denn noch?«
»Er wollte wissen, ob es hier irgendwo Premiere-Fernsehen gibt, wegen Dortmund gegen Bayern übermorgen.«
»Wie? Walter kommt wegen Inge hierher und will dann Fußball gucken?«
»Ist doch gegen Bayern. Ganz wichtiges Spiel.«
Charlotte schüttelte fassungslos den Kopf. »Meine Güte! Und was geht immer von selbst
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