Tante Inge haut ab
Windeln über Arztbesuche und Essen bis zum Studium, und dass damit auch mal irgendwann Schluss sein müsse. Er sehe als Vater keine Ansprüche mehr auf sich zukommen. Auch nicht aufs Elternhaus. Und den Schuh solle Heinz sich auch anziehen.«
»Das ist echte Walter-Logik. Ich kann Tante Inge immer mehr verstehen.«
Der Kies auf dem Parkplatz knirschte, als sie in eine freie Parklücke vor dem Hotel fuhren. Johann stellte den Motor aus und betrachtete das weiße reetgedeckte Haus.
»Schön, oder?«
Christine war schon ausgestiegen. »Wunderbar. Wenn das Doppelzimmer noch frei ist, buchen wir sofort. Guck mal, mit Blick aufs Watt. Und so ruhig. Los, beeil dich.«
Zehn Minuten später fühlte sich Christine vom Chaos befreit. Das Zimmer war bezaubernd, das Personal freundlich und Johann so offensichtlich erleichtert, dass sich bei ihr endlich wieder Ferienstimmung einstellte.
»Alles richtig gemacht«, sagte sie und drückte Johanns Arm, »jetzt fahren wir zurück, holen unsere Sachen und machen nur noch Urlaub. Ab und zu können wir ja bei meinen Eltern vorbeischauen. Höchstens ab und zu«, setzte sie noch nach.
»Hast du ein schlechtes Gewissen?« »Nein ...«, Christine wartete, dass Johann das Auto aufschloss, »na ja, vielleicht ein bisschen. Weil meine Mutter jetzt allein mit den drei Männern ist.«
»Das warst du auf Norderney auch. Mit Kalli und Heinz. Und Walter ersetzt locker Onno und Carsten zusammen. Ganz locker.«
»Diese drei zusammen sind noch anstrengender, finde ich. Und Heinz hat hier Heimspiel, auf Norderney war er wenigstens fremd und hat sich zusammengerissen.«
Johann lachte trocken, während sie einstiegen. »Zusammengerissen? Ist das dein Ernst? Ich glaube ...«
Er wurde von Christines Handy unterbrochen, das auf der Konsole zu tanzen begann. Auf dem Display stand »Mama«.
Mit beklommener Stimme nahm Christine das Gespräch an: »Ja ?«
»Wo seid ihr gerade?« Die Stimme hörte sich zum Glück nicht nach Nervenzusammenbruch an.
»Wir sind noch auf dem Parkplatz vom >Watthof<«, antwortete Christine erleichtert, »wir haben ein schönes Zimmer gebucht, jetzt kommen wir nach Haus und holen unsere Sachen.«
Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Christine redete schnell weiter: »Weißt du, das ist viel entspannter. So können Walter und Kalli oben in der Wohnung schlafen, du hast unten deine Ruhe, machst denen nur ein bisschen Frühstück, und gut ist.«
Charlottes Stimme klang gepresst. »Frühstück? Und du meinst, das reicht?«
»Ach Mama, jetzt sei doch nicht sauer. Johann und ich haben nur diese zwei Wochen. Und wir können uns doch nicht oben ausbreiten, wenn Onkel Walter und Kalli auf irgendwelchen Matratzen schlafen. So ist es jetzt gut gelöst. Und ich kann ja vorbeikommen und dir helfen.« Johann hustete warnend, was Christine aber ihrer Mutter zuliebe überhörte. »Wir können abends kochen, das haben wir auf Norderney auch gemacht, und mittags gibt es Würstchen oder belegte Brote und ...«
»Hier wird überhaupt nicht gekocht.« Charlottes Ton ließ Christines Redestrom augenblicklich versiegen. »Jedenfalls nicht von mir; was du machst, ist deine Sache. Ich habe gerade eben deinen Bruder angerufen. Georg fährt morgen für eine Woche nach Köln, Geschäftsreise. Er hat gesagt, solange ich nicht auf die Idee komme, seine Wohnung zu putzen und Gardinen aufzuhängen, könnte ich bei ihm wohnen. Der Zug fährt um 13.30 Uhr. Könntet ihr mich zum Bahnhof bringen?«
»Aber du kannst doch nicht einfach verschwinden! Du ...« Christine fehlten die Worte. Charlotte nicht.
»Wieso nicht? Das hat Inge doch auch getan. Für diesen Männerzirkus fehlen mir jedenfalls die Nerven. Und so viel Schokolade kann ich gar nicht essen. Also, fahrt ihr mich?«
»Ja, klar. Bis gleich.« Verstört drückte Christine den roten Knopf. »Jetzt haut meine Mutter auch noch ab. Nach Hamburg zu meinem Bruder. Und die drei Männer bleiben allein zu Haus.«
Vergnügt klimperte Johann mit dem Zimmerschlüssel. »Da haben wir ja alles richtig gemacht.« Dann bemerkte er Christines Gesichtsausdruck und stöhnte auf. »Vergiss es. Entweder ernähren die sich allein, oder sie nehmen eben ein paar Kilo ab. Schaden würde es keinem. Außerdem hat dein Onkel Walter doch bestimmt ruckzuck eine Idee, wie sie kostengünstig an eine warme Mahlzeit pro Tag kommen. Wir machen hier Urlaub und sortieren ein paar Dinge in deinem Leben neu. Also, halt dich bitte zurück. Mir zuliebe. Uns zuliebe.
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