Tante Julia und der Kunstschreiber
merke, ist es zu spät. Ich muß mich gewaltig anstrengen, um sie wieder dahin zu bringen, wo sie hingehören, um ihre Verwechslung zu erklären. Ein Kompaß, der den Norden mit dem Süden verwechselt, kann schlimm sein, schlimm.«
Ich sagte ihm, er sei müde, niemand könne in diesem Rhythmus arbeiten, ohne sich kaputtzumachen, er müsse Urlaub machen.
»Urlaub? Nur im Grab«, erwiderte er aggressiv, als hätte ich ihn beleidigt.
Aber einen Augenblick später erzählte er mir demütig, daß er, als er seine »Vergeßlichkeit« bemerkte, versucht habe, eine Kartei anzulegen. Nur, es war unmöglich, er hatte nicht genug Zeit, nicht einmal, um in den Radioprogrammen nachzusehen. Seine ganze Zeit war für die Herstellung neuer Texte verplant. »Wenn ich anhalte, bricht die ganze Welt zusammen«, murmelte er. Und warum konnten ihm seine Mitarbeiter nicht helfen? Warum fragte er sie nicht, wenn er Zweifel hatte? »Nie und nimmer«, erwiderte er. »Sie würden den Respekt vor mir verlieren. Sie sind nur Rohmaterial, meine Soldaten, und wenn ich einen Fehler mache, ist es ihre Pflicht, ihn mit mir zu machen.« Abrupt brach er das Gespräch ab, um sich bei den Kellnern über den Tee zu beklagen, den er ungenießbar fand, und dann mußten wir im Trab zum Sender zurück, denn das Hörspiel von 3 Uhr wartete. Als wir uns verabschiedeten, sagte ich, daß ich alles tun würde, um ihm zu helfen. »Das einzige, worum ich Sie bitte, ist Schweigen«, sagte er. Und mit seinem eisigen Lächeln fügte er hinzu: »Machen Sie sich keine Sorgen: Gegen große Übel große Abhilfe.« In meinem Verschlag sah ich die Nachmittagszeitungen durch, strich die Meldungen an, verabredete ein Interview um 6 Uhr mit einem historisierenden Neurochirurgen, der eine Schädeloperation mit Inka-Instrumenten gemacht hatte, die das Museum für Anthropologie ihm geliehen hatte. Um halb vier begann ich abwechselnd auf die Uhr und zum Telephon zu sehen. Tante Julia rief pünktlich um vier Uhr an. Pascual und der Große Pablito waren noch nicht da.
»Meine Schwester hat beim Mittagessen mit mir gesprochen«, sagte sie mit düsterer Stimme. »Der Skandal sei zu groß, deine Eltern würden kommen, um mir die Augen auszukratzen. Sie hat mich gebeten, nach Bolivien zurückzukehren. Was kann ich machen? Ich muß gehen, Varguitas.«
»Willst du mich heiraten?« fragte ich sie. Sie lachte ohne große Freude.
»Ich sage das im Ernst«, insistierte ich.
»Du bittest mich wirklich, dich zu heiraten?« Tante Julia lachte wieder, jetzt etwas amüsierter.
»Heißt das ja oder nein?« sagte ich. »Mach schnell, denn Pascual und der Große Pablito kommen.«
»Fragst du mich nur, um deiner Familie zu beweisen, daß du erwachsen bist?« sagte Tante Julia zärtlich. »Auch darum«, gab ich zu.
XIV
Die Geschichte von Hochwürden Pater Seferino Huanca Leyva, dem Geistlichen in jenem Misthaufen, der an das fußballbesessene Viertel von Victoria grenzt und sich Mendocita nennt, begann vor einem halben Jahrhundert in einer Karnevalsnacht, als ein junger Mann aus guter Familie, der gern hin und wieder im Volk untertauchte, in der Gasse von Chirimoyo eine lebenslustige Wäscherin, die schwarze Teresita, schändete. Als diese merkte, daß sie schwanger war – sie hatte acht Kinder, keinen Mann, und es war unwahrscheinlich, daß irgendein Mann sie mit so zahlreicher Brut vor den Altar führen würde –, nahm sie rasch die Dienste von Dona Angelica in Anspruch, einer alten, weisen Frau von der Plaza de la Inquisiciön, die als Hebamme, aber vor allem als Vernichterin ungebetener Gäste arbeitete (in einfachen Worten gesagt, als Engelmacherin). Trotz des giftigen Gebräus (aus eigenem Urin, in dem Mäuse eingeweicht worden waren), das Dona Angelica der schwarzen Teresita zu trinken gab, weigerte sich die Frucht der Schändung jedoch mit einer Hartnäckigkeit, die auf ihren zukünftigen Charakter schließen ließ, sich von der mütterlichen Plazenta zu lösen, und blieb dort wie eine Schraube festgekrallt, wuchs und bildete sich aus, bis, nachdem neun Monate nach dem Beischlaf im Karneval vergangen waren, die Wäscherin keinen anderen Ausweg sah, als zu gebären.
Sie gab ihm den Namen Seferino, um den Taufpaten, einen Pförtner vom Congreso gleichen Namens, zu ehren, und die beiden Nachnamen der Mutter. In seiner Kindheit deutete nichts darauf hin, daß er einmal Priester werden würde, denn die frommen Übungen sagten ihm keineswegs zu, wohl aber Kreiseltanzen- und
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