Tante Julia und der Kunstschreiber
Drachensteigenlassen. Doch immer schon, bereits bevor er sprechen konnte, bewies er Charakter. Die Wäscherin Teresita praktizierte eine Erziehungsphilosophie, die intuitiv von Sparta oder Darwin inspiriert war und darin bestand, ihren Kindern beizubringen, daß sie lernen müßten, zu beißen und gebissen zu werden, wenn sie daran interessiert waren, in diesem Dschungel zu überleben, und was das Milchtrinken und Essen anging, so war es vom dritten Lebensjahr an ganz und gar ihre eigene Sache. Sie, die zehn Stunden am Tag Wäsche wusch und sie weitere acht Stunden in ganz Lima austrug, konnte nur sich selbst und die Kinder erhalten, die noch nicht das Minimalalter erreicht hatten, um »mit dem eigenen Tuch zu tanzen«.
Das Kind der Schändung bewies die gleiche Hartnäckigkeit zum Überleben, die es schon bewiesen hatte, als es im Mutterleib am Leben bleiben wollte. Es konnte sich ernähren, indem es alle Schweinereien verschlang, die es in den Abfalleimern fand und um die es sich mit Bettlern und Hunden stritt. Während seine Halbgeschwister tuberkulös oder vergiftet wie die Fliegen wegstarben oder als Kinder, die rachitisch oder mit psychischen Schäden so gerade durchkommen, die Probe nur zur Hälfte bestanden, wuchs Seferino Huanca Leyva gesund, kräftig und geistig ganz passabel heran. Als die Wäscherin (litt sie unter Hydrophobie?) nicht mehr arbeiten konnte, war er es, der sie ernährte, und später stellte er ihr ein Begräbnis erster Klasse in der Casa Guimet, das ganz Chirimoyo als das beste in der Geschichte des Viertels feierte. (Damals war er bereits Pfarrer von Mendocita.)
Der Junge war frühreif und machte einfach alles. Zur gleichen Zeit, zu der er sprechen lernte, bettelte er auch schon in der Avenida Abancay um Almosen. Dabei machte er ein Gesicht wie ein schmutziger Engel, das die Damen von guter Herkunft wohltätig stimmte. Später war er Schuhputzer, paßte auf Autos auf, verkaufte Zeitungen, Waschmittel, Süßigkeiten, war Platzanweiser im Stadion und handelte mit alten Kleidern. Wer hätte damals sagen können, daß dieses Kind mit den schmutzigen Nägeln, den dreckigen Füßen, dem Kopf, auf dem es von Nissen wimmelte, das in eine durchlöcherte und über und über geflickte Jacke gezwängt war, schließlich der umstrittenste Pfarrer Perus werden sollte?
Es war ein Wunder, daß er lesen lernte, denn er hatte nie den Fuß in eine Schule gesetzt. In Chirimoyo erzählte man sich, daß sein Pate, der Pförtner vom Congreso, ihn das Alphabet und die Silbenbildung gelehrt habe, und den Rest erlangte er – Burschen aus der Gosse, die durch Hartnäckigkeit bis zum Nobelpreis gelangen – allein durch seine Willenskraft. Seferino Huanca Leyva war zwölf Jahre alt, lief durch die Straßen und erbettelte in den Palästen abgelegte Kleider und alte Schuhe (die er dann in den Elendsvierteln verkaufte), als er die Person kennenlernte, die ihm die Mittel geben sollte, ein Heiliger zu werden: eine Großgrundbesitzerin baskischer Herkunft, Mayte Unzâtegui, von der man unmöglich sagen konnte, ob ihr Reichtum oder ihr Glaube, das Ausmaß ihrer Haziendas oder ihre Hingabe an den HErrn von Limpias größer waren. Sie kam aus ihrer maurischen Residenz in der Avenida San Felipe in Orrantia, und der Chauffeur öffnete ihr schon die Tür ihres Cadillac, als die Dame das Produkt der Schändung neben seinem Karren mit den an diesem Morgen gesammelten alten Kleidern mitten auf der Straße stehen sah. Seine derbe Anmut, seine intelligenten Augen, die Züge eines willensstarken jungen Wolfes gefielen ihr. Sie sagte ihm, sie werde ihn am Abend besuchen.
In Chiromoyo gab es Gelächter, als Seferino Huanca Leyva erklärte, daß eine Dame in einem riesigen Wagen, den ein blau uniformierter Chauffeur lenke, ihn an diesem Abend besuchen komme. Aber als um 6 Uhr der Cadillac vor der engen Gasse hielt und Dona Mayte Unzâtegui elegant wie eine Herzogin ausstieg und nach Teresita fragte, waren alle überzeugt (und sprachlos). Dona Mayte – Geschäftsfrauen, die sogar die Zeit für ihre Menstruation kalkuliert haben – machte der Wäscherin sofort ein Angebot, das ihr einen Freudenschrei entlockte. Sie werde die Erziehung von Seferino Huanca Leyva bezahlen und der Mutter eine Entschädigung von 10 ooo Soi geben unter der Bedingung, daß der Junge Priester werde. So kam es, daß das Kind der Schändung Schüler im Priesterseminar Santo Toribio del Mogrevejo in Magdalena del Mär wurde. Im Unterschied zu anderen Fällen,
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