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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Polizeigebäude erkundigte er sich am andern Tage beim Polizeipräsidenten nach der geheimnisvollen Frau. Er konnte nichts über sie erfahren. Die Baronin hatte bei Tisch von ihren Nachforschungen erzählt, von ihrem Besuche bei Josepha, auch von Vater Chardin und seinem Neffen. Daraus schloß Tante Lisbeth, daß Adeline auf der richtigen Fährte war. Bereits am nächsten Morgen früh sieben Uhr fuhr sie in einer Droschke nach dem Quai de la Tournelle und ließ an der Ecke der Rue de Poissy halten.
    »Gehen Sie in die Rue des Bernardins«, bat sie den Kutscher, »Nummer 7. Das ist ein Haus ohne Hausmeister. Vier Treppen hoch, linker Hand, ist an der Tür ein Schild: »Fräulein Chardin, Spitzen- und Kaschmirschal-Stopferin.« Wenn jemand öffnet, fragen Sie nach dem Herrn Rat. Man wird sagen, er sei ausgegangen. Dann geben Sie zur Antwort: »Weiß schon. Sehen Sie doch noch einmal nach und sagen Sie ihm, seine Dienerin warte am Kai in einer Droschke auf ihn und möchte ihn sprechen.««
    Eine Viertelstunde später kam ein etwa achtzigjähriger alter Herr zaghaft an die Droschke heran. Er hatte ganz weißes Haar und eine vor Kälte rote Nase; sein blasses Gesicht war runzelig, sein Gang schleppend. Er trug Tuchschuhe und unter dem grobstoffigen Überzieher eine gestrickte Jacke über einem bunten Hemd. Es war der Baron Hulot. Als er Tante Lisbeth erkannte, trat er an den Wagenschlag.
    »Guten Tag, lieber Vetter!« begrüßte sie ihn. »Wie geht's? Wie steht's?«
    »Clodia nimmt mir alles«, gab der Alte zur Antwort. »Diese Chardins sind alle miteinander Lumpenbagage!«
    »Willst du mit nach Hause kommen?«
    »Gott behüte! Am liebsten möchte ich nach Amerika.«
    »Deine Frau ist dir auf den Fersen!«
    »So! Wenn nur die Schulden, die ich von neuem habe machen müssen, bezahlt würden! Man ist auch deshalb hinter mir her.«
    »Wir haben deine alten Schulden noch nicht einmal alle erledigt. Dein Sohn bürgt immer noch für hunderttausend Francs.«
    »Der arme Junge!«
    »Deine Pension wird ungefähr in acht Monaten wieder frei. Ich habe dir bis dahin zweitausend mitgebracht.«
    Erstaunt und gierig streckte ihr Hulot die Hand entgegen.
    »Gib sie mir, Lisbeth!« bat er. »Gott wird es dir vergelten. Ich weiß nun, wohin ich gehe ...«
    »Das mußt du mir aber sagen, alter Schwerenöter!«
    »Siehst du, mit dem Gelde komme ich acht Monate aus. Ich I habe ein himmlisches Geschöpf entdeckt, ein unschuldiges Ding, noch viel zu jung, um verdorben zu werden...«
    »Denk an die Sittenpolizei! Daß die dich nicht eines schönen Tages am Kragen kriegt!«
    »Ach wo! Ich werde gleich jetzt, so wie ich hier stehe, in die Rue de Charonne ziehen, in einen Winkel, um den sich kein Mensch kümmert. Ich bin dort der alte Thorec und werde mich als einen Kunsttischler ausgeben, der sich zur Ruhe gesetzt hat, oder als so was Ähnliches. Meine paar Sachen liegen größtenteils noch bei der Frau Bijou. Die Kleine liebt mich, und ich lasse mir nicht wieder das Fell über die Ohren ziehen.«
    »Daß dir das wieder einmal passiert ist, sehe ich«, meinte Lisbeth, indem sie den Anzug des Barons musterte. »Darf ich dich nach der Rue de Charonne fahren, Vetter? Deine Sachen laß dir von Frau Bijou holen. Die kleine Olympia hat sich inzwischen gut verheiratet.«
    Hulot setzte sich mit in die Droschke. Damit verließ er seine Clodia, ohne sich von ihr zu verabschieden.
    Unterwegs erzählte er von seiner neuen Geliebten, die Itala Judici hieß. Lisbeth setzte ihn in der Rue de Charonne – in der Vorstadt Saint-Antoine – an der Tür eines von Hulot bezeichneten, verdächtig und gefährlich aussehenden Hauses ab, nachdem sie ihm das Geld eingehändigt hatte.
    »Leb wohl, Vetter!« sagte sie zu ihm. »Du bist also nun der Vater Thorec! Schön! Schicke mir deine Boten immer von verschiedenen Orten! Verstanden?«
    »Gewiß! Ach, wie bin ich froh!« beteuerte der alte Mann, über dessen Züge das Morgenrot eines neuen Glückes heraufzog.
    Am andern Tage stellte sich Crevel bei seinen Kindern ein, gerade als die ganze Familie nach dem Frühstück im Salon versammelt war. Cölestine begrüßte ihn, als sei er erst gestern dagewesen, obwohl es nach zwei Jahren sein erster Besuch war.
    »Guten Tag, lieber Schwiegervater!« Viktor reichte ihm die Hand.
    »Guten Tag, meine lieben Kinder!« sagte Crevel behäbig. »Frau Baronin, ich küß Ihnen untertänigst die Hand! Ah, die Kinder! Wie die wachsen! Frau Gräfin, bewunderungswürdig wie immer! Schau,

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