Tanz auf Glas
sowieso nur für den Fall der Fälle«, beruhigte ich ihn. Als er immer noch nichts sagte, fuhr ich fort: »So wird sie hier in Brinley aufwachsen, und das ist mir sehr, sehr wichtig. Sie wird ihren wunderbaren Vater kennen, und du kannst so viel Verantwortung übernehmen, wie deine Kraft erlaubt. Lily und Ron können jederzeit einspringen, und sie werden fantastische Eltern sein. Ihr alle drei. Denk mal darüber nach, Mic. Das ist die ideale Lösung. Alle können dabei nur gewinnen.«
Ich beobachtete die Gefühle, die sich in Mickeys Blick widerspiegelten. Zuerst sah ich, dass ihm die Idee nicht gefiel. Wir sprachen darüber, und einmal sagte er sogar, es sei besser, wenn er keinerlei Verbindung zu unserer Tochter hätte. Das war für mich unvorstellbar.
»Ich glaube, so wäre es leichter, Lu.«
Ich strich mit dem Zeigefinger über seine Hand, und je mehr ich von Lily und Ron als den Hauptverantwortlichen sprach und betonte, dass er sich nur so weit einzubringen brauchte, wie er konnte, desto mehr schien er sich mit dem Gedanken anzufreunden. Als ich mit meinem Sermon fertig war, holte ich tief Luft. »Und – was sagst du?«
Mickey schüttelte schweigend den Kopf. Dann stand er auf und küsste mich auf die Stirn. »Ich kann mir nicht vorstellen, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie meine Tochter großziehen«, sagte er. Dann verließ er die Küche.
»Was
kannst
du dir denn vorstellen?«, rief ich ihm nach, doch er war schon verschwunden.
Ich blies die Kerzen aus und blieb noch lange im Dunkeln sitzen. Einige Zeit später, als ich gerade den Tisch abräumte, kam Mickey wieder herunter. Er hatte geduscht, sein Haar war nass, und er duftete nach Shampoo. Er kam zu mir, nahm mir den Teller aus der Hand und zog mich in seine Arme.
»Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwer es für dich war, Harry darauf anzusprechen. Mir ist es schon schwergefallen, das nur zu hören.«
»Ich weiß.«
»Ich will nicht mehr darüber reden, Lu. Lass uns heute Nacht noch so tun, als stellte sich die Frage gar nicht. Du wirst unser Baby bekommen, und dann wirst du tun, was die Ärzte dir sagen …« Er zuckte mit den Schultern. »Und dann war dein Besuch bei Harry ganz umsonst.«
»Ja, natürlich. Bei Harry war ich nur für alle Fälle.«
Mickey nickte. »Ich möchte dir etwas zeigen.« Er führte mich ins Wohnzimmer, und ich blickte erwartungsvoll zu ihm auf. Erst setzte er mich aufs Sofa und legte meine Füße auf den Hocker davor. Dann holte er das Sauerstoffgerät, das ich vor dem Essen beiseitegestellt hatte, und legte mir den Schlauch wieder an. Als er mich noch mit einer Steppdecke zugedeckt hatte, setzte er sich neben mich und gab mir ein hübsch verpacktes Geschenk.
»Was ist das?«
»Alles Gute zum Geburtstag.«
»Du hast meinen Geburtstag verpasst.«
»Ist doch nicht so wichtig. Mach es auf.«
Es war ein Buch. Ein großes rotes Buch mit den Worten
Mickey liebt Lucy
darauf, in goldenen Lettern, die hinter meinen plötzlichen Tränen verschwammen. Ich blickte zu ihm auf. »Was hast du gemacht?«
»Nur ein paar Sachen zusammengetragen.«
Das dicke Buch enthielt unsere gemeinsame Geschichte. Ich konnte kaum glauben, wie jung wir auf den Bildern vom Anfang unserer Beziehung aussahen. Auf einem Foto küssten wir uns an meinem einundzwanzigsten Geburtstag im Colby’s – Lily hatte es geschossen. Von ihr war auch der Schnappschuss vom Tag meiner Uni-Abschlussfeier, als Mickey mir den Heiratsantrag gemacht und ein Stück Schnur von der Quaste an meinem Hut um meinen Ringfinger gewickelt hatte. Auf einem Foto waren wir völlig verdreckt, weil wir gerade das Erdgeschoss seines Hauses entkernten – ich trug Mickeys Werkzeuggürtel und einen Bauhelm. Das Foto von unserer Hochzeit, auf dem wir klatschnass im Regen tanzten, durfte natürlich nicht fehlen, und es gab noch eines von Priscilla, wie sie versuchte, die Canapés zu retten. Mehrere Bilder gab es von unserer Kreuzfahrt mit Lily, Ron, Jan und Harry, kurz bevor ich zum ersten Mal an Krebs erkrankte – eines von uns drei Mädels mit Gesichtsmasken im Spa, eines mit unseren wunderbaren Männern. Und ein sehr schönes Foto, auf dem Mickey mich im Mondlicht küsste.
»Oh, das war eine tolle Reise.« Ich blickte zu Mickey auf, der nickte und mit den Tränen kämpfte. Ich erinnerte mich, dass er damals über ein Jahr lang vollkommen stabil gewesen war. Dann hatte ich Krebs bekommen.
Während meiner ersten Erkrankung hatte Mickey nur ein einziges Foto von mir gemacht.
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