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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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und so entspannt wie möglich.
    Jetzt musste ich nur noch aus meiner Unterhose und in die OP -Kluft schlüpfen. Ich würde das schaffen. Ich stand auf, und das Bild im Spiegel über dem Waschbecken erschreckte mich. So bleich und ausgezehrt und
nicht ich.
Tränen traten mir in die Augen, als ich mir das leblose Haar hinter die Ohren strich. Ich war eine Hülle, hässlich und obszön. Während ich dastand und über meinen grässlichen Anblick lamentierte, erschien
sie
hinter mir im Spiegel. Ich starrte in ihre Augen und fragte mich, ob ich sie hierhergewünscht hatte, obwohl ich sie gleichzeitig für ihr Erscheinen tadelte.
    »Es ist noch nicht so weit«, krächzte ich.
    Mit gütigen Augen starrte sie zurück, und ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Ich war nicht einmal sicher, ob ich das wollte. Mein Herz wusste es, und mein Verstand wusste es, und ein Teil von mir war beinahe dankbar. Aber ich brauchte noch ein bisschen mehr Zeit.
    »Ich gehe noch nicht«, erklärte ich ihr.
    Tränen verzerrten den Spiegelanblick vor mir, und ich rieb mir die Augen. Ich rieb kräftig, und als ich wieder in den Spiegel schaute, war sie fort. Ich streifte meine Unterhose ab und beförderte sie mit dem Fuß hinüber zu der Jeans, doch plötzlich fiel mir etwas Seltsames ins Auge.
    Zunächst konnte ich mit dem, was ich da sah, gar nichts anfangen. Rote Unterwäsche?
    Ich besaß keine rote Unterwäsche.
    Während ich reglos dastand und auf das hinabblickte, was nicht sein durfte, spürte ich, wie mir etwas die Beine hinablief. Wegen meines dicken Bauchs konnte ich es nicht sehen, doch es sammelte sich schon um meine Füße. Langsam trat ich zurück und schaute hinunter. Blut. Rote Unterwäsche! Als mein Verstand endlich die Verbindung herstellte, begann mein Herz zu hämmern, und mir wurde bewusst, dass mit jedem dröhnenden Pulsschlag mehr Wärme aus mir hinausrann. Blut! Vierunddreißigste Woche. Blut. Und die Todesfee im Spiegel? War sie nach alledem nun doch nicht meinetwegen gekommen?
    Ich schlang die Arme schützend um meine Mitte und kreischte aus voller Kehle. Ich rang nach Atem, aber es war zu wenig. Als ich ein zweites Mal versuchte, mich bemerkbar zu machen, rutschte ich an der Wand hinab, weil meine Beine mich nicht mehr tragen konnten. Ich zog mich zurück, fiel tief in mein Inneres hinab, so unaufhaltsam, als sei ich in einen Brunnenschacht gestürzt.
    Was als Nächstes geschah, erlebte ich wie eine Art Zuschauerin, in der Situation gefangen, aber bemüht, der hektischen Aktivität nicht im Weg zu stehen. Ich bekam mit, wie Sadie und dann eine weitere Schwester sich in das kleine Bad drängten. Als sie mir hastig den OP -Kittel und die Hose überstreiften, dachte ich:
Gut. Kümmert ihr euch um das da – das Häuflein kranke Frau. Ich kümmere mich derweil um meinen plötzlich gefährdeten kleinen Passagier.
Ich richtete die Kraft jeder Zelle, jeden Impuls darauf, ihr Leben zu schützen. Mein Gehirn requirierte alles, was mein Überlebensinstinkt noch auftreiben konnte, und lenkte es zu meiner kleinen Tochter.
    Trotz der Panik spürte ich, wie ich zu versinken begann, doch ich zerrte mich selbst an die Oberfläche zurück. Ich suchte nach dem Tod, konnte seine Fee aber nicht finden. Beim Gedanken an sie fühlte ich mich verraten und bestätigt zugleich, doch ich würde kein Quentchen meiner kostbaren Reserven dafür aufwenden, mit ihr zu verhandeln. Ich würde nicht zulassen, dass sie meine Tochter holte! So einfach war das.
    Auf einmal platzte Mickey in den winzigen Raum. Er hob mich hoch wie eine Stoffpuppe und übernahm das Kommando. »Wohin? Wohin mit ihr?«, donnerte er, obwohl er hyperventilierte. Dann rannte er und küsste mich dabei auf den Kopf. Während ich auf seinen Armen durchgeschüttelt wurde, spürte ich die ganze Zeit über, wie Blut aus mir hinausrann.
    »Hier entlang!«, schrie Sadie. »Ich weiß nicht, wo gerade eine freie Transportliege ist. Sollen wir sie in die Notaufnahme bringen?«, rief sie jemand anderem zu. »Oder nach oben? Dann ruf oben an und sag Bescheid, dass wir kommen!«
    Mit dieser Entwicklung hatte offensichtlich niemand gerechnet, und alle, die hier eigentlich zuständig waren, verloren kurzfristig die Kontrolle über die Situation. Aber Mickey hielt mich – hielt uns – fest an sich gedrückt, und er hätte mich nicht fallen gelassen.
    Ich muss doch eine Zeitlang abgetaucht sein, denn ich erwachte – nein, nicht ganz, ich nahm mich und meine Umgebung auf einmal wieder

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