Tanz auf Glas
wiederholen.« Als sich ihre Augen mit Tränen füllten, drückte ich ihre Hand an meine Lippen. »Ich habe dich lieb, Lucy.«
»Das weiß ich, Süße. Schon immer.«
Ich cremte meine trockene Haut ein, während Priscilla die Bettwäsche wechselte. Sie gab sich große Mühe mit den Ecken der Laken und schüttelte die Daunendecke auf. Dann schlug sie sie zurück und half mir ins Bett. Ich schwor mir, dass ich nur noch ausruhen würde, bis Harry kam.
Sofort sank ich in einen oberflächlichen Schlaf, doch ich bekam es mit, als irgendwo jenseits des Summens des Sauerstoffgeräts eine Klingel schellte. Ich erinnere mich daran, dass Lily hereinkam, mich küsste und meine Wange streichelte. Sie hatte furchtbar traurige Augen. »Lu«, flüsterte sie heiser. »Bist du sicher, dass du das wirklich willst?«
»Ja. Ich will sie
dir
geben.« Meine Schwester vermochte ein leises Schluchzen nicht zu unterdrücken, und ich bemühte mich, ihre Hand zu drücken, aber ich konnte nicht wach bleiben.
Als Nächstes erinnere ich mich daran, dass alle in meinem Schlafzimmer standen – Ron und Lily, Harry, Priscilla und Mickey, der am Bett kniete. Er hatte wieder geweint. Ich glaube, alle sahen verweint aus. Mickey strich mir über die Wange und spielte mit meinem dünnen Haar.
»Bist du sicher?«, flüsterte er.
Ich wusste, was er meinte, blickte von ihm zu meinen Schwestern auf und sah dann Ron an.
»Genau so, wie wir es besprochen haben, ja?« Ron nickte. Lily, der die Tränen nur so über die Wangen strömten, nickte ebenfalls. Ich wandte mich wieder Mickey zu und legte die Hand an seine Schulter. »Bist
du
sicher?«
»Ja«, flüsterte er.
Er half mir, mich aufzurichten, und dann setzte sich Harry mit den Dokumenten auf meine Bettkante. »Hier, bitte sehr, Liebes«, sagte er und schlug die Akte auf. Er reichte mir den Stift aus seiner Brusttasche. Ich benutzte meinen Bauch als Unterlage und setzte meine Unterschrift unter die Dokumente, mit denen die Adoption meiner Tochter offiziell wurde.
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30
19 . November 2011
L ily kommt jetzt jeden Morgen vorbei und hilft Lucy, sich für den Tag fertig zu machen. Sie kämmt sie, cremt ihre Hände ein, zieht ihr die Socken an. Ich könnte das auch alles tun, aber es scheint Lily sehr viel zu bedeuten, dass ihr diese Intimität zugestanden wird. Gerade habe ich zugesehen, wie Lily langsam und sanft Lucys dünne Arme durch die Ärmel eines Pullovers führte. Als sie fertig war, küsste sie meine Frau auf die Stirn, und Lucy blickte zu ihr auf und versuchte zu lächeln. Keine von beiden sagte ein Wort, aber dieser Moment hatte unendliche Bedeutung.
Ich hatte gewusst, dass diese Schwestern etwas Besonderes verband, seit Lily damals ins Colby’s kam, um die Party zu Lucys einundzwanzigstem Geburtstag zu organisieren. Ich weiß noch, wie schlank und blond sie war, so leicht zu unterschätzen. Das ist sie immer noch, aber Lily besitzt eine Tiefe, die von Kummer herrührt und sich in wahrer Güte und Großzügigkeit offenbart. Als wir vor so vielen Jahren die Party planten, beschrieb sie Lucy in all ihren Schichten – die sie sämtlich vergötterte. Sie reichten von jung, hartnäckig und selbstsicher über geduldig und nachsichtig bis hin zu eisern und irrsinnig stur. Lily hatte tatsächlich »irrsinnig« gesagt, und bei der Erinnerung daran musste ich lächeln. Zweifellos würde sie Lucy heute genauso beschreiben, obwohl heute ein schlechter Tag war.
Lucy war die ganze Nacht lang übel gewesen, sie atmete schwer und rasselnd. Peter Gladstone hat uns kurzfristig einen Termin gegeben, deshalb bin ich vorhin ins Schlafzimmer gekommen, um ein bisschen Dampf zu machen. Doch ich kam mir vor wie ein Eindringling, der eine heilige Handlung stört. Lily hatte sich hingesetzt, und Lucys Kopf ruhte an ihrer Schulter. Sie hielten sich an den Händen, den Blick in die Ferne gerichtet, und reine Liebe und Hingabe stand ihnen in die Gesichter geschrieben. Die Verbindung zwischen ihnen schien weder Anfang noch Ende zu haben, und zum ersten Mal schaute ich über mein eigenes Elend hinaus und sah, wie all das Lily das Herz brach. Der Anblick war schwer auszuhalten, und ich musste wieder hinausgehen.
Am neunzehnten November schneite es in Brinley. Wie durch Zauberhand war der faule, lange Herbst, still und farbenprächtig, einer Decke aus matschigem Schnee gewichen, der die Welt in kalte, deprimierende Eintönigkeit hüllte. Mickey und ich waren auf dem Weg ins Krankenhaus zu Dr. Gladstone,
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