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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Richtung Flur drehen, wo ich Mickeys Stimme zu hören glaubte. Es dauerte einen Moment, bis ich ihn durch die Scheibe deutlich erkannte, aber da war er, mit Lily und Priscilla. Ron war auch bei ihnen, und Dr. Matthews. Mickey stand mit dem Rücken zu mir und zog immer wieder die Hand aus der Hosentasche, um sich den Nacken zu reiben. Das tat er, wenn er beklommen war. Als Lily ihm die Schulter tätschelte, schlug er beide Hände vors Gesicht. Priscilla wischte sich Tränen von den Wangen, während sie dem Arzt lauschte. Ron muss meinen Blick gespürt haben, denn er drehte sich um und spähte zu mir herein. Als sich unsere Blicke trafen, sah ich keine guten Neuigkeiten in seinen Augen. Wir starrten einander einen schwerwiegenden Moment lang an, bis er den Blick auf den Fußboden senkte.
    Meine kleine Familie verschwamm, weil mir die Tränen kamen. Ich dachte an meine Mutter und die gefasste Ruhe, mit der sie ihre eigene schreckliche Diagnose aufgenommen hatte, und auf einmal war ich furchtbar wütend auf sie. Ich hatte gerade das Spülbecken geputzt und Muster in den schmuddeligen Boden gezeichnet, als das Telefon klingelte. Meine Mutter putzte die Fensterscheiben der Hintertür und zog sich rasch einen gelben Gummihandschuh aus, um dranzugehen. Es war Charlotte. Ich hörte auf zu wischen, wagte es aber nicht, zu Mom aufzublicken. Nicht einmal, als sie sagte: »Wir sind in fünfzehn Minuten da.« Meine Mutter hatte in der Woche zuvor mehrere Untersuchungen machen lassen müssen, und die Ergebnisse lagen vor. Meine Mutter ließ den gelben Handschuh fallen und legte auf. Dann drehte sie sich zu mir um und sagte: »Tja, das war es dann also.« Ich weiß noch genau, wie langsam sie die Treppe hinaufging. Ich weiß noch, dass ich nichts tun konnte, als diesen leblosen Gummihandschuh anzustarren, der auf dem Küchenfußboden lag.
    Ich schloss die Augen und distanzierte mich von meiner Situation. Es kostete mich gewaltige Anstrengung, doch ich schaffte es, die matte Hand auf meinen Bauch zu heben und die feste Rundung unter meinem Nachthemd zu streicheln.
    Später – ich weiß nicht, wie viel später – weigerte ich mich einfach, auf Mickey oder sonst jemanden zu reagieren, als einer nach dem anderen versuchte, mich aufzuwecken. Ich war nicht bereit für das, was mich jenseits des Schlafes erwartete, also stellte ich mich weiter schlafend, solange ich konnte. Als ich es schließlich riskierte, die Augen einen Spalt zu öffnen und hinauszuspähen, sah ich Mickey mit nassen Augen ins Leere starren, und mein Herz zog sich zusammen. Ich konnte es nicht ertragen, ihn noch einmal mit mir durch diese Hölle gehen zu sehen. Ich war nicht stark genug dafür. Und er auch nicht.
    Es war Nacht, und im Zimmer war es dunkel bis auf den Schein der Neonröhren, der vom Flur hereinfiel. Ferne Stimmen waren zu hören – eine Krankenschwester orderte Abendessen für einen neu aufgenommenen Patienten, im Nachbarzimmer unterhielten sich Leute über Bowling, jemand bat um etwas zu trinken. Aber in meinem Zimmer war die Stille ohrenbetäubend.
    »Mic?«, krächzte ich.
    Er beugte sich vor und streichelte mein Ohr. »He, meine Schöne. Ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr auf. Allmählich habe ich mir Sorgen gemacht.« Er stand auf und küsste mich zärtlich auf den Mund. Er sah fix und fertig aus, zwang sich aber zu einem dünnen, leicht durchschaubaren Lächeln. Ich wusste, welche Anstrengung ihn das kostete.
    »Ich habe geträumt«, sagte ich.
    Mickey verschränkte seine Finger mit meinen.
    »Ich habe geträumt, dass der Arzt etwas Schlimmes gefunden hat.«
    Die Tränen in Mickeys Augen drohten mir ins Gesicht zu tropfen, als er sich über mich beugte. Er schniefte und schob die Decke beiseite. Dann kletterte er zu mir ins Bett und nahm mich in die Arme. Ich spürte, wie er zitterte.
    »Sag es mir, Mic«, flüsterte ich.
    Mickey brauchte lange, bis er antworten konnte, und sein Schweigen schien alle meine Befürchtungen zu bestätigen. Schließlich sagte er: »Ich habe nicht alles verstanden, was er uns erklärt hat, aber er hat einen Tumor gefunden. Und er …« Mickey schluckte ein Schluchzen hinunter. »Der Krebs hat sich auf deine Lunge ausgebreitet, Lu.«
    Seine Worte rollten über mich hinweg und erdrückten mich mit ihrer Wucht. Tumor? Ausgebreitet? Lunge … Meine Tränen flossen lautlos, doch sie tränkten Mickeys Hemd, während er mich ganz fest an sich drückte.
     
    Viel später am Abend kam Roland Matthews in mein

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