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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Herr der Ringe
-Trilogie auf DVD vorbeigebracht, neun Stunden Ablenkung. Ich bekam Briefchen und Karten und liebe Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Priscilla zog sogar vorübergehend aufs Boot und arbeitete nur mit Laptop und Handy, damit sie über mich wachen konnte.
    Ich setzte mich nach meiner Rückkehr erst einmal aufs Sofa und rührte mich nicht mehr. Mickey muss mich an jenem Tag hundertmal geküsst haben. Er küsste meine Hand, meinen Kopf, meine Wange, mein Handgelenk. Stets gefolgt von der festen Behauptung, alles würde wieder gut werden.
    Aber das war gelogen. Wie konnte alles wieder gut werden, wenn wir unser Baby verloren? Er weigerte sich, über sie zu reden. Und ich durfte auch nicht von ihr sprechen.
    Während meine Freunde und meine Familie sich voller zärtlicher Fürsorge um mich kümmerten, wurde Mickey launisch und ängstlich … und zusehends verzweifelt. Er hatte nicht viel geschlafen, genau wie ich, und daher waren wir beide gereizt. Eines Abends gerieten wir in einen fürchterlichen Streit, obwohl wir wussten, dass dies nur ein lauter, hässlicher Ausdruck all der Dinge war, die uns das Herz brachen. Doch das hielt uns nicht davon ab. Spät am Abend stürmte Mickey in Laufklamotten aus dem Haus, und ich gebe es zwar ungern zu, aber nachdem die Fliegengittertür gegen den Rahmen geknallt war, war ich unendlich erleichtert.
    Ich saß im Halbdunkel, umfangen von wohltuender Stille, und spürte, wie sich meine Tochter sanft herumdrehte. Es fühlte sich so natürlich an, als drehte ich leicht mein Handgelenk. Ich spürte sie, und ich glaube, noch nie solche Schmerzen gekannt zu haben. Was mir bevorstand, was
uns
bevorstand, war unerträglich. Wir hatten uns längst in sie verliebt. Und jetzt …
    Ich dachte an eine Nacht vor einigen Jahren zurück, in der ich nicht gestorben war. Ich glaube, ich hätte sterben sollen – der Krebs ließ mich schon über dem Grab baumeln, und ich glaube, alle wappneten sich gegen meinen Tod. Dr. Barbee war zwar in der Onkologie nicht für mich zuständig, doch sie war da und kümmerte sich um meine Familie. Ich weiß, dass sie Mickey auf alles vorbereitete. Und Lily. Und dann starb ich doch nicht. Die wundersamen Selbstheilungskräfte des Körpers kann man nur als Gottes besten Zaubertrick bezeichnen, und aus irgendeinem Grund überlegte Er es sich anders. Es dauerte lange, bis ich mich vom Mordversuch des Krebses erholte. Doch an diesem Abend wünschte ich beinahe, ich hätte es nicht geschafft, denn dann hätte ich jetzt nicht dem Verlust des Allerkostbarsten in unserem Leben ins Auge blicken müssen.
    Ich liebte dieses Baby von ganzem Herzen. Und Mickey liebte ich mit einem weiteren ganzen Herzen, und nun brachen alle beide.
    Über eine Stunde später kam Mickey endlich nach Hause. Er sah verletzt aus, von Schmerzen gequält.
    »Ach, mein Schatz«, sagte ich und ging zu ihm. Er schlang die Arme um mich, und ich umfing seine Taille. Einen Augenblick lang war es so schön. Doch ehe ich wusste, wie mir geschah, küsste Mickey mich mit erschreckender Heftigkeit, grob und gierig. Plötzlich presste er mich so fest an sich, dass es weh tat. Ich versuchte mich von ihm zu lösen, doch er umklammerte mich noch fester.
    »Hör auf«, sagte ich in seinen Mund. »Hör auf damit, Mickey. Schluss!«, schrie ich und stieß ihn fort. »Herrgott, was soll das?«, fragte ich und rieb mir die schmerzenden Lippen.
    Mickey bohrte sich die Handballen in die Augen, und ein grässliches Stöhnen brach aus ihm hervor. Ich beobachtete ihn. Ich sah zu, wie er sich wand, fluchte und weinte in beinahe greifbarem Schmerz. Schließlich blickte er gequält zu mir auf und trat einen Schritt auf mich zu.
    Ich wich zurück. »Nein. Nicht.«
    Betroffen blieb er stehen.
    »Hörst du bitte auf, es noch so viel schlimmer zu machen?«, fragte ich. »Was soll denn das?«
    »Lucy, ich darf dich nicht verlieren. Das geht nicht. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich sein soll«, wimmerte er.
    Ich fühlte mich, als schmelze jeder Knochen in meinem Körper, und ließ mich an die Wand sinken.
    »Tja, du wirst mich vielleicht verlieren, Mickey«, erwiderte ich grausam. »Das ist die Realität, und der müssen wir uns stellen. Aber heute Abend wird noch gar nichts passieren. Kannst du nicht bitte einfach nur einmal für mich da sein?«, schluchzte ich. »Es tut mir leid, aber ich will mich jetzt nicht um dich kümmern müssen. Ich bin müde, Mickey. Und wenn du nicht einmal eine Minute lang

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