Tanz auf Glas
Zimmer. Mickey war endlich nach Hause gegangen, um zu duschen, und es schien mir kein Zufall zu sein, dass der müde Arzt erst kam, als ich allein war. Er sah mich ein paar Augenblicke lang nur an, und in diesem Schweigen tauschten wir ein trauriges Wissen aus. Als er zu sprechen begann, klangen seine Worte wie einstudiert, aber nicht unfreundlich. Er hatte eine größere Probe einer raumfordernden Masse von etwa sechs Zentimetern Durchmesser genommen. Das Gewebe war atypisch und flach und hatte sich an meiner Thoraxwand gebildet, so weit hinter der Brust, dass die Zubildung in der Mammographie nicht zu erkennen gewesen war, bis sie ihre jetzige Größe erreicht hatte. Die Schwellung und die Spannungsgefühle in meiner Brust waren mit den Veränderungen identisch, die in einer Schwangerschaft natürlicherweise auftraten, was zusätzlich dazu geführt hatte, dass der Tumor nicht erkannt wurde. Roland Matthews erklärte mir, dass nur das Zusammentreffen all dieser Umstände es dem Tumor ermöglicht hatte, sich zu bilden und unbemerkt zu wachsen. Und zu streuen.
In diesem Moment wurde mir klar, dass das schrecklichste Wort der Welt nicht
Krebs
lautet, wie ich lange angenommen hatte, sondern
Metastase. Metastase.
Dieses abscheuliche Wort fuhr durch meinen Verstand wie Glassplitter und riss Löcher der Hoffnungslosigkeit. Das Wort ließ die Zeit stillstehen, obwohl Dr. Matthews weiterhin seine Predigt über Tumormarker und fortgeschrittene Stadien hielt, von der überflüssigen Litanei meiner Laborwerte ganz zu schweigen. Seltsamerweise wies mein Blutbild, das wir so lange so gründlich überwacht hatten, keinen Anstieg der Kalziumwerte auf. Aber heute hatten sie tatsächlich den Tumormarker gefunden, der die Diagnose von Metastasen in der Lunge eindeutig machte. Das, so sagte er, erkläre auch mein ständiges Hüsteln.
Es war eine Menge zu verdauen, und während der Arzt weiterplapperte, zog ich mich einfach in mich selbst zurück, bis das Rauschen in meinem Kopf seine Stimme übertönte. Allerdings hörte ich wieder zu, als er mir die mögliche Behandlung erklärte – eine brutale Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie. Der atypische Tumor in meiner Brust war inoperabel, und wir konnten nur hoffen, dass es gelingen würde, ihn von innen zum Schrumpfen zu bringen. Er hatte für die Pathologie so viel wie möglich davon entnommen, aber selbst durch eine radikale Brustamputation wäre der Herd nicht vollständig zu entfernen gewesen. Seine Schilderung, wie nahe der Tumor an der Lunge saß, weckte den Eindruck, als beschriebe er eine einzige Geschwulst, die in zwei Richtungen wucherte. Roland Matthews teilte mir mit, ein Kollege werde mich am nächsten Tag noch einmal eingehend untersuchen, und er entschuldigte sich unnötigerweise dafür, dass die Läsion in meiner Lunge außerhalb seines Spezialgebietes liege. Er beendete seine Ansprache mit den Worten: »Dr. Gladstone wird mir sicher darin zustimmen, dass wir so bald wie möglich mit einer aggressiven Chemo- und Strahlentherapie beginnen müssen.«
Ich starrte den Mann an, der emotionslos dieses vernichtende Urteil aussprach. Er schien nicht zu bemerken, dass seine Ärzterhetorik von mir abprallte, nichts davon zu mir durchdrang. Sie war nicht wichtig. Ich hatte das alles schon gehört. Damals als kleines Mädchen hatte man es meiner Mutter erklärt. Vor sieben Jahren hatte ich es wieder hören müssen, als bei mir zum ersten Mal die Diagnose Krebs gestellt wurde. Aber sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte den Zeitpunkt nicht begreifen. Nicht jetzt. Ich war doch schwanger! Warum nicht letztes Jahr? Oder in sechs Monaten?
»Nein! Das will ich nicht!«, schrie ich, obwohl mir bewusst war, wie kindisch sich mein Protest anhörte.
Er atmete mit einem tiefen Seufzen aus und schaffte es nicht, mir in die Augen zu sehen, als er sagte: »Natürlich werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um ein möglichst positives Ergebnis zu erzielen.«
»Was ist mit meinem Baby?«, fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Er schwieg einen grauenhaften Moment lang, und dann begegnete er endlich meinem Blick. »Ich ordne einen therapeutischen Schwangerschaftsabbruch an, Mrs Chandler. Sie haben Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium mit Metastasen in der Lunge. Die Prognose ist nicht gut. Aber Ihre Chancen wären gleich null, wenn wir nicht sofort mit einer äußerst aggressiven Therapie beginnen. Wenn es gutgeht, können Sie vielleicht später an ein Baby
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