Tanz der Dämonen
dachte trotzig: Mag sein, dass ich töricht bin. Ich weiß selbst, dass ich das nicht hätte sagen sollen. Aber genau betrachtet war Eure Antwort weder ein Ja noch ein Nein.
Ich trat zur Tür und öffnete sie.
»Zünd mir noch die Kerze an«, verlangte er.
Ich gehorchte. Dabei fiel Licht auf die Schwelle.
Was war das?
Ein Gegenstand, der das Auge auf sich zog, weil er aussah wie eine garstige Spinne. Ich zögerte.
»Was ist?«, fragte er.
»Da liegt etwas.« Ich hob es vorsichtig auf und zeigte es ihm. Es war eine eiserne Nadel mit einer kräftigen Öse, wie Schuhmacher sie benutzen. Durch die Öse waren Stücke dicken schwarzen Fadens gezogen.
Ahasver wurde kreidebleich; das konnte ich deutlich erkennen, obwohl das Licht so spärlich war.
»Geh«, sagte er tonlos. »Leg es da hin und geh.«
Ich gehorchte, verwirrt und beunruhigt, aber auch erleichtert, mich zurückziehen zu können. Ehe ich ganz hinaus war, rief er mich noch einmal zurück.
»Geh morgen nicht fort«, sagte er.
Ich schaute ihn an und brachte kein Wort heraus. So alt und eingefallen wirkte sein Gesicht im Kerzenschein.
»Schon gut«, krächzte er. »Was ich auch sage, du wirst dich ja doch nicht daran halten.«
ER S CHWARZE H UND
»Nanu, Kind, hast du vielleicht ein Gespenst gesehen?«, wollte Mutter Gluck wissen, als ich in Gedanken auf der letzten Treppenstufe stehen blieb.
»So etwas Ähnliches schon, glaube ich.« Es war schwer zu beschreiben, was dieses seltsame Ding in mir ausgelöst hatte, die »Garnspinne«, die Ahasver so erschreckt hatte.
»Was du redest!«, schimpfte sie und bekreuzigte sich rasch. »Dabei ist es so ein schöner Abend. Und er ist weg, der unangenehme Kerl, du weißt schon, der behauptet hat, er sei ein Puppenspieler … Gilbert …«
»Gilbert?«
»Ja. Wenn er wirklich so heißt.«
Auch ich war froh, ihn los zu sein. Ich hatte kaum Zweifel, dass er das Zeichen auf Ahasvers Schwelle zurückgelassen hatte. Hatte er das versteckt gehalten, als ich am Morgen auf ihn traf? Vielleicht hatte es die ganze Zeit dort gelegen, bis es eben erst von mir bemerkt worden war? Was es wohl zu bedeuten hatte? Eine Drohung?
Es war noch nicht dunkel, und ich beschloss, Sambo eine Arbeit abzunehmen und den Bären für die Nacht zu versorgen. Also griff ich mir ein paar Speisereste und etwas altes Brot und ging hinaus. Barbaro war in den letzten Tagen wieder zu Kräften gekommen und hatte sich schnell an mich gewöhnt. Er fraß mit Behagen, und während er das tat, wurde mir bewusst, dass ich selbst schon lange nichts mehr gegessen hatte. Ich brach etwas von dem Brot ab, das ich noch in der Hand hielt, und kaute versuchsweise darauf herum.
Als der Bär seine Mahlzeit beendet hatte, streckte er sich wohlig aus. Ich kraulte ihm ausführlich die Ohren, bevor ich wieder insFreie trat. Er stieß ein kehliges Brummen aus. Bedauernd. Oder beunruhigt? Wollte er mich vor etwas warnen?
Bilde dir nichts ein!, dachte ich. Schluss mit den Hirngespinsten!
Es war wirklich ein herrlicher Abend. Klarer Himmel und dünnes Eis auf den Pfützen.
Über mir erhob sich der Giebel des Hauses im Licht der untergehenden Sonne. Die eigentliche Schauseite war anscheinend diese Hoffront, nicht die Fassade zur Straße mit dem Eingang. Hier am Hof prangte ein gemeißeltes Wappen. Es war freilich so von Wind und Regen zerfressen, dass von seiner Darstellung so gut wie nichts mehr zu erkennen war. Nur der Kopf eines Menschen hob sich ab. Allerdings sah das verwitterte Bildwerk nun fast wie ein Totenschädel aus. Eindeutig war dies ein Haus, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Wie wir alle, ging es mir durch den Kopf. Selbst ich, so jung ich noch war!
Ein seltsames Geräusch ließ mich zusammenfahren – ein Flattern. Es schien aus der baufälligen Scheune zu meiner Rechten zu kommen.
Merkwürdig, dachte ich. Ob sich da ein Vogel unters Dach verirrt hat?
Es müsste schon ein großes Tier sein!
Ich tat ein paar Schritte in die Richtung. Was zögerte ich? Es war noch immer hell genug, um sich hier im Hof nicht fürchten zu müssen. Oder?
Die Erinnerung an den Pfeil zuckte auf, aber meine Neugier siegte.
Ein hölzerner Schlagladen klappte im Wind. Ich ging langsam zur Türöffnung und streckte den Kopf hinein. Ziemlich dunkel.
Dann ein jähes Geräusch wie der Luftzug von etwas, das schnell an einem vorbeisaust. Die Tür wurde zugeworfen, ein Stoß – und ich taumelte nach drinnen. Eine schwere Hand presste sich auf meinen Mund und
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