Tanz der Engel
zweiten Brücke posierten maskierte Gestalten in bunten venezianischen, historischen oder einfach nur originellen Kostümen, um sich fotografieren zu lassen. Auch einige in schwarzen Mänteln liefen umher. Dass alle menschlich waren, bezweifelte ich. Unter den Masken steckten bestimmt auch ein paar Engel – einfacher als zu dieser Jahreszeit konnte man sich nicht verbergen.
Ich zog meine Maske auf. Jeans und dunkle Jacken gab esmehr als schwarze Mäntel, zumindest hier, in meiner alten Welt.
Kurz vor Mittag erreichten wir unseren Palazzo. Ein freundlicher alter Herr erklärte uns nachsichtig, dass wir uns sicher irrten, da er keine Zimmer untervermiete. Sebastian, der sowieso schon genervt war wegen der Masken und des Ministücks Pizza, verlor die Fassung und wollte sich Zutritt ins Haus verschaffen. Doch ein gezielter Schlag mit dem Stock streckte ihn nieder.
»Nehmt euren Freund und bringt ihm Manieren bei, bevor ihr das nächste Mal irgendwo anklopft«, herrschte uns der nun nicht mehr so freundliche Alte an. Selbst Lisa, die bestimmt noch nie einen Owoostock gesehen hatte, begriff, dass der alte Herr kein Mensch, sondern ein Engel war. »Und das nächste Mal kauft ihr euch besser etwas zu essen und keinen nachgeahmten Firlefanz.« Er meinte die Masken.
Während Sebastian sich am Fuß einer kleinen Kanalbrücke von dem Schlag über seinen Schädel und dem Fehlkauf erholte, wanderte Paul über den kleinen Platz. Hannes unterhielt sich mit Leonie, während Erika und Susan mit Lisa sprachen. Ich durfte allein nachdenken. Inzwischen hatte Susan Lisa gesteckt, was ich war und warum sie lieber nicht mit mir reden sollte.
»Hast du ein Problem, wenn ich mich zu dir setze?«, fragte ich Sebastian.
»Warum? Wegen des Streits im Maskenladen?«
»Nein, eher weil … weil du weißt, was ich bin.«
Sebastian warf mir einen neugierigen Blick zu. »Muss ich Angst vor dir haben?«
»Ich … weiß nicht. Hast du welche?«
»Vielleicht in ein paar Jahren. Aber im Moment hast du weniger drauf als ich. Wir hatten zusammen Improvisationskunst«, erinnerte mich Sebastian an meine fehlgeleiteten Kaugummigeschosse. »Wenn, dann solltest du dich fürchten – vor der Prüfung, meine ich.«
Ich seufzte leise und war froh, eine Maske zu tragen. Angst hatte ich. Trotzdem wollte ich nicht, dass jeder das sehen konnte.
Paul gesellte sich zu uns. »Sollen wir es noch mal probieren? Maskiert?«
»Das kannst du gerne machen«, erwiderte Sebastian. »Mir reicht ein Schlag auf den Kopf am Tag völlig.«
»Außerdem glaube ich nicht, dass wir hier richtig sind«, warf Leonie ein, die sich mit Hannes zu uns auf die Stufen der Brücke setzte. »Der Typ, der uns zum Maskenladen gebracht hat, wollte uns möglicherweise nur auf eine falsche Fährte locken, als er sagte, wir sollen nicht vergessen, wo wir hergekommen sind .«
»Vielleicht meinte er nicht diesen, sondern den anderen Palazzo: den Dogenpalast«, hielt Paul dagegen.
»Oder er wollte uns nur daran erinnern, was wir sind, damit wir nicht über die Stränge schlagen.« Susans Kommentar galt mir, nicht Sebastian. Ich ignorierte ihn.
»Einen Versuch wäre es wert, oder hat jemand eine bessere Idee als den Dogenpalast?«, fragte Leonie.
Pauls Vorschlag wurde angenommen. Vorbei an vielen kleinen Läden und immer schmaleren Gassen, erreichten wir den überfüllten Markusplatz. Ein Kostüm übertrumpfte das nächste. Marie Antoinettes blauer, ausladender Reifrock konkurrierte mit Queen Elizabeths plissiertem Stehkragen, Casanova mit den drei Musketieren. Selbst Engel und Teufel posierten um die Wette. Die meisten Besucher interessierten sich im Augenblick jedoch mehr für den Glockenturm, von wo ein Mädchen in einem weißen Spitzenkleid mit ausladendem Rock und Unterrock von einem Stahlseil gehalten über den Platz schwebte.
»Was soll das werden?«, fragte Hannes und starrte ebenfalls nach oben.
Susan kicherte. »Das ist der Versuch, aus einem Wesen ohne Flügel einen Engel zu machen.«
Ich biss mir auf die Zunge. Damit konnte sie mich nicht provozieren: Flügel besaß ich.
»Ein Prüfling flog mal in der falschen Welt vom Turm auf den Platz hinunter. Zum Glück war es Nacht. Gerüchte gab es trotzdem. Also arrangierte der Rat den sogenannten Engelsflug und behauptete, der Nachtflug wäre die heimliche Probe für den Karnevalsevent gewesen. Seitdem findet der Engelsflug jedes Jahr statt«, erklärte Paul, der in Geschichte offenbar aufgepasst hatte.
»Schön. Aber wir müssen
Weitere Kostenlose Bücher