Tanz der Engel
Umhänge gekleidete Engelkampftruppe – natürlich weiß maskiert – lauerte hinter einer Kirche auf fehlgeleitete Protegés.
Der Erste ging ihnen ins Netz. Ein Schüler am Ende des Balkons heulte auf, während andere in hektisches Gemurmel verfielen, um ihre Schützlinge zurückzujagen. Wer seinen Protegé jetzt nach Süden führte und einen großen Bogen um den langgezogenen Platz von Santo Stefano machen ließ, hatte eine Chance, der lauernden Engelstruppe zu entkommen.
»An La Fenice vorbei«, hörte ich Paul murmeln und entdeckte die Hologramm-Miniaturen der beiden händchenhaltenden Mädchen, kurz bevor sie den Vorplatz des Opernhauses erreichten. Von der Engelkampftruppe drohte hier keine Gefahr, aber bei der gegenüberliegenden Kirche lauerte sie. Ein Engel nach dem anderen strömte aus dem Gebäude. Wer die plötzlich auftauchenden Gestalten übersah, dessen Protegé war verloren – und Lisa und Susan steuerten geradewegs auf sie zu.
»Hinter der Kirche!«, warnte ich Paul. »Schick sie nach Süden!«
»Willst du sie baden lassen?! Dort gibt’s nur Sackgassen und Kanäle«, wies er mich, nach einem hektischen »Nach rechts, rechts, egal welche!« auf meinen Fehler hin.
Paul schleuste Susan und Lisa nördlich an Sant’ Angelo vorbei, führte sie auf Umwegen an einem kleinen Kirchenvorplatz entlang, wählte danach eine verschlungene Route durch schmale Gässchen über den nächsten Kanal und schickte sie nach San Gallo, wo gestern unsere Tauchaktion begonnen hatte.
»In den Brunnenschacht, Deckel zu, abtauchen – und Ruhe!« Pauls Flüstern wurde zu einem befehlenden Brummen.
Aus den die Piazza San Marco umgebenden Gebäuden strömte eine weitere Schar schwarzgekleideter Engelsjäger. Susan und Lisa wären ihnen geradewegs in die Arme gelaufen, und zurück konnten sie auch nicht mehr: Ein zweiter Trupp lauerte im Norden.
Paul hielt gespannt den Atem an. Ein Dutzend Engel stürmte Richtung San Gallo. Entweder sein Trick funktionierte, oder wir hatten verloren.
Neben mir sackte ein Mädchen zusammen. »Das ist so unfair, kurz vor dem Ziel noch mehr Jäger auftauchen zu lassen«, schluchzte sie.
Wie ihr erging es auch anderen. Wer seinen Protegé Richtung Markusplatz schickte, ließ ihn direkt in die Arme der schwarzen Engel laufen. Die Vorsichtigen, die mit einer Falle rechneten, hatten entweder ein Versteck parat – wie Paul – oder hielten ihre Schützlinge vom Markusplatz fern, bis sie wussten, welche Route sicher war.
Paul schloss die Augen. Seine Verbindung zu Susan war hochkonzentriert. Er musste nicht sehen, was passierte – er würde es fühlen.
Die Engeltruppe blieb stehen. Ich sog erschrocken die Luft ein. Nur ein paar Schritte entfernt hockten Susan und Lisa im Brunnenschacht. Lisa, die erst seit ein paar Tagen ein Engel war,würde frieren, vielleicht mit den Zähnen klappern – oder auftauchen, falls sie doch zu Sanctifer gehörte. Ich verwarf den Gedanken. Lisas Tränen waren echt gewesen.
Und Susan? Sie hatte gedroht, meine Prüfung zu sabotieren. Aber ich war mir sicher, dass sie gerade alles gab, damit Lisa durchhielt und sie unentdeckt blieben. Sie würde Paul niemals nur meinetwegen durchfallen lassen, egal wie wenig sie mich mochte.
Die schwarzgekleideten Engel teilten sich auf. Zwei Zugänge nach San Gallo sparten sie aus. Eine faire Chance, den Markusplatz zu erreichen. Paul handelte sofort, erteilte Susan den Befehl, aus dem Brunnen zu klettern und nach Süden zu laufen.
Gemeinsam mit drei weiteren Engelschülern erreichten Susan und Lisa den Markusplatz. Vier Federn auf dem Glockenturm gegenüber und eine an der Krone des goldenen Wetterengels – die für mich – flammten auf. Pauls Anspannung löste sich in einer herzlichen Umarmung.
»Und jetzt klettere hoch, und hol dir deine Eintrittskarte.«
Kapitel 32
Engel in Gold
I ch bereitete mich auf einen Hinterhalt vor. Einen Engel, der ganz aus Versehen gegen das Seil flog. Oder einen mit Schwert, der die Slackline kappte. Beide mit dem gleichen Ziel: mich zu Fall zu bringen. Zum Glück hielt Paul mir den Rücken frei. Er war mir aufs Dach der Basilika gefolgt und sah von dort aus zu, wie ich hinüber zum Campanile balancierte.
Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Mein Ausgangspunkt auf der höchsten Kuppel der Basilika lag niedriger als mein Ziel am Glockenturm auf der gegenüberliegenden Seite des Vorplatzes. Ich musste bergauf gehen, was ich noch nie gemacht hatte. Abgesehen davon wehten kräftige
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