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Tanz der Engel

Tanz der Engel

Titel: Tanz der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Itterheim , Diana
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Böen von der Lagune herüber, die ich ausgleichen musste. Extrem schlechte Bedingungen für einen Hochseilakt – meine Angst noch gar nicht mitgerechnet.
    Die Aussicht, die Prüfung zu bestehen, half mir, meine Nervosität zu besiegen. Und das Wissen, notfalls meine Flügel benutzen zu können, stärkte mein Selbstvertrauen bei meinem himmlischen Ritt. Sanctifer würde leer ausgehen, Aron mein Tutor bleiben und ich endlich Christopher wiedersehen.
    Eine Böe raubte mir das Gleichgewicht. Ein gerauntes »Oh!« schallte zu mir nach oben. Auf dem Vorplatz des Dogenpalastes gruppierten sich Schaulustige, um mir zuzusehen – ich hätte Eintritt verlangen sollen.
    Nur noch ein paar Schritte, und der Abgrund lag hinter mir. Ein Sprung auf die Plattform des Turms brachte mich erst mal in Sicherheit. Schnell entdeckte ich das lose Seil, das mir helfensollte, die zwei Geschosse und das steile Dach zu überwinden, um den goldenen Wetterengel zu erreichen. In XXL-Größe thronte er über der Stadt. Dem rotierenden Engel die leuchtende Feder zu entwenden würde nicht einfach werden, wenn der Wind so weiterblies. Dennoch blieb ich zuversichtlich.
    Auf den handbreiten Kapitellen der Säulenreihe, den weißen Löwenköpfen und dem darüberliegenden Vorsprung fand ich Halt an der senkrecht in die Tiefe stürzenden Wand des mächtigen Glockenturms. Meine Beine zitterten bedrohlich, als ich mich über die obere Brüstung hievte. Angst steckte mir in den Knochen. Ich hätte nicht nach unten sehen sollen. Klein wie die Figuren der Mini-3-D-Stadt wirkten die Zuschauer in der Tiefe, winzig die Nachbildungen auf dem Platz daneben.
    Ich legte eine kurze Verschnaufpause ein, bevor ich die nächste Etappe in Angriff nahm. Zwei Prüflinge flogen von der Basilika herüber und holten sich ihre leuchtenden, hoch über dem Wetterengel schwebenden Preise. Damit ich nicht fliegen musste, war meine Feder an der Krone des goldenen Engels befestigt. Dem höchsten Punkt der Stadt. Nicht einmal Aron wäre auf die Idee gekommen, mich dort hochzujagen.
    Ich wählte den Weg über die geflügelte Löwenskulptur. Der langgestreckte Körper bot mehr Möglichkeiten zum Festhalten als die rotbraune Ziegelwand. Das letzte Stück, über das grüne Metalldach und den überstehenden Sockel, auf dem der Engel sich drehte, war das schwierigste. Das raue Seil schnitt mir tief in die Hände. Nach dem Abstieg würden sie offen sein. Doch das war egal, Hauptsache, ich bestand die Prüfung.
    Meine Konzentration geriet ins Wanken. Ein Engelschüler, seine leuchtende Feder stolz in der Hand, umrundete die Turmspitze und hielt auf mich zu.
    »Dein Mitstreiter hat die ganze Arbeit gemacht. Du hast es nicht verdient, dir die Feder zu holen. Wenn du so etwas wie Ehre kennst, lass sie stecken und gönn ihm den Preis.«
    Mein Fuß suchte vergeblich nach einer Unebenheit. Ich rutschte ab, klammerte mich an das Seil und presste die Zähne zusammen, während die Schnur durch meine Hände glitt. Sollte der Typ mich doch für ehrlos halten. Mich in die Schutzengelprüfungen zu schicken, war auch nicht gerade ehrenhaft.
    Ich wartete, bis das Brennen in meinen Handflächen und unter den Nägeln nachließ. Mit Mühe bezwang ich den überstehenden Vorsprung. Keuchend, wie nach einem Dreitausendmetersprint, blieb ich zu Füßen des goldfarbenen Wahrzeichens sitzen und beobachtete, wie es sich im Wind hin und her drehte. Den Engel musste ich ohne Seil erklimmen.
    Als der böige Wind ein wenig nachließ, sprang ich auf den beweglichen Sockel und klammerte mich an das Kleid der Skulptur. Die Falten halfen mir, den Richtung Himmel gereckten Arm zu erreichen. Im Affengriff hielt ich mich fest, drückte mich ab, wickelte ein Bein über die Schulter des Engels, zog das andere hinterher und schlängelte mich nach oben. Behütet von goldenen Flügeln saß ich, wie auf dem Rücken eines Pferdes, auf seiner Schulter und sah mich um. Unter mir starrten Engel herauf, über mir holten sich die erfolgreichen Prüflinge ihre Federn – eine von ihnen gehörte Paul.
    Ich schüttelte den Gedanken ab, dass ich ihn um seinen Sieg brachte. Wenn die Engel ein Gewissen besaßen, würden sie ihn morgen nicht durchfallen lassen. Er hatte bewiesen, dass er es verdiente, zum Wächterengel ausgebildet zu werden.
    Eine Windböe brachte den goldenen Engel unter mir zum Rotieren. Wie an den Hals eines Pferdes klammerte ich mich an den nach oben ragenden Arm. Kurz vor dem Ziel würde ich mich nicht mehr abschütteln

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