Tanz der Engel
Augen schauen, ohne in ihm die Bestie zu sehen?
Christopher beobachtete mich. Er spürte meine Zweifel, und sie gefielen ihm genauso wenig wie mir. Er wusste von meiner Schattenseite und liebte mich dennoch. Ich dagegen kannte nur sein Engelswesen, und ich fürchtete mich davor, auch den anderen Teil von ihm kennenzulernen.
»Im Gegensatz zu mir denkt Christopher, es würde dir helfen, deiner dämonischen Seite entgegenzutreten«, brachte Aron meinen Satz zu Ende.
»Und du gehst davon aus, ich würde mich stattdessen noch stärker von dieser Macht angezogen fühlen.«
»Du kannst sie schon wahrnehmen?«, mischte Christopher sich ein. Aron wurde eine Spur blasser, doch Christopher ließ es sich nicht anmerken, ob ihm das gefiel oder ob es ihn beunruhigte.
Christopher wartete mein Nicken nicht ab. »Aron, gib ihr die Chance. Je tiefer sie sich in ihr Dämonenerbe verstrickt, umso schwieriger wird es für sie, wieder herauszufinden.«
»Es ist Teil ihrer Ausbildung, das zu bewältigen. Ich werde deinetwegen nicht die Regeln ändern.«
»Hast du das nicht schon getan?«, fragte Christopher.
»Du warst die einzige Möglichkeit, sie zurückzubringen. Ihre Träume waren voll von dir. Nur deshalb habe ich dir erlaubt, ihr Wesen zu berühren.«
»Und das, obwohl ich ein Racheengel bin!« Christophers Antwort war Vorwurf und Bitte zugleich.
Aron schwieg. Auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Falten. Anscheinend zweifelte er nicht an Christophers Vertrauenswürdigkeit. Dennoch hätte ich niemals vermutet, dass ausgerechnet er Christopher zurückgeholt und ihm erlaubt hatte, mich aus meinem schlimmsten Albtraum zu befreien. Aron hatte darauf gebaut, dass Christophers Liebe stärker war als der Hass des Racheengelsauf das Monster in mir. Doch irgendetwas hinderte ihn daran, Christopher ein weiteres Mal zu vertrauen.
»Du weißt, dass du mich mit deinem Schwert nicht aufhalten kannst. Aber wenn du unbedingt willst, kann ich mich auch gleich hier verwandeln.«
Christophers Stimme enthielt eine Warnung, die mir eiskalte Schauder über den Rücken jagte. Selbst Ekin veränderte seine lässige Haltung, um eingreifen zu können, falls Christopher seine Drohung wahr machte.
Das Wiederaufleben der Feindseligkeit zwischen Aron und Christopher gefiel mir überhaupt nicht. Ein Funke und sie würden wieder aufeinander losstürmen – egal ob ich dazwischenstand oder nicht.
»Warum überlässt du mir nicht die Entscheidung?«, wandte ich mich an Aron. Um den Abstand zwischen ihm und Christopher zu vergrößern, ging ich einen Schritt auf ihn zu.
»Weil du dich, ohne darüber nachzudenken, auf seine Seite schlagen würdest.«
»Nicht, wenn du mir die Wahrheit erzählen und mir verraten würdest, was dich wirklich davon abhält, Christopher zu vertrauen.«
Aron sah mich irritiert an. Offenbar überraschte es ihn, dass ich ihn durchschaut hatte.
»Arons Befürchtungen sind zweitrangig«, mischte Christopher sich ein. Er war mir gefolgt und stand keine Armlänge hinter mir. Wenn ich nicht aufpasste, würde er mich umrunden und Aron erreichen, bevor ich dazwischengehen konnte.
»Nicht für mich!«, antwortete ich mit erhobener Stimme. »Und wenn du nicht derjenige sein willst, der mich zu etwas zwingt, dann lässt du mir ein wenig Luft zum Atmen und gehst ein paar Schritte zurück.«
Mit ausgestrecktem Arm trieb ich Christopher von mir weg. Seine finstere Miene versuchte ich zu ignorieren. Meine Gefühlefür Christopher sollten meine Entscheidung nicht beeinflussen – auch wenn sein vorwurfsvoller Blick schmerzte.
»Christophers letzte Verwandlung liegt viele Jahre zurück. Er hat geschworen, nie wieder dieser Macht zu erliegen«, begann Aron. »Sanctifer hat ihn zu oft in sein Schattenwesen getrieben und dafür gesorgt, dass er nicht zurückfindet. Es hat lange gedauert, bis Christopher sich von seinem Dämon befreien konnte, doch Sanctifer ließ nicht locker und zwang ihm mit anderen Methoden seine Schattengestalt auf.«
Mein Blick wanderte zu Christopher. In seinen Augen lag ein dunkler Schmerz, der niemals erlöschen würde. Wut stieg in mir auf. Ich bekämpfte sie – mich an Sanctifer zu rächen war die blödeste Idee überhaupt.
»Seine Flucht und Coelestins Geduld bewahrten Christopher vor Schlimmerem und ließen ihn zu dem mächtigen Engel werden, der er heute ist. Kein Racheengel kennt seine Schattenseite besser als Christopher, doch je öfter ein Engel sich seinem Dämonenteil überlässt, umso schwerer fällt es
Weitere Kostenlose Bücher