Tanz der Engel
aktiviert!«
Ich nickte tapfer. Wie sich das anfühlte, war mir, seit Arons Trick mit dem Dolch, bestens bekannt.
Nachdem meine Hände verschnürt waren, bat Christopher mich, auf dem Sessel Platz zu nehmen. Ohne auf die sichtbaren Zeichen meiner Angst einzugehen – inzwischen war ich blass und kalt wie gefrorene Sahne –, wickelte er meine Füße aneinander. Er arbeitete akribisch, ohne aufzuschauen, damit ihm kein Fehler unterlief und ich mich von dem Strick befreien konnte. Schließlich bat er mich, meine Knie anzuziehen und die Arme um meine Beine zu legen.
Christopher spürte meinen Widerstand, ließ sich von meiner Furcht aber nicht aufhalten. Erst als er meine Handgelenke mit den Fußfesseln verbunden hatte, so dass ich wie ein zusammengeschnürtes Paket in dem Sessel lag, schaute er auf.
»Versuche auf keinen Fall, dich zu befreien! Egal was auf der anderen Seite passiert, bleib einfach du selbst. Warte, bis Aron kommt, und tu, was er dir sagt.«
Ich nickte ein zögerliches Ja , das Christopher nicht überzeugte.
»Lynn, versprich mir, Arons Anweisungen zu befolgen. Du hast ihm geschworen, eine Musterschülerin zu werden.«
»Ja, aber wenn du …«
»Wenn Aron dich holt, bin ich nicht mehr so, wie du mich kennst. Dann ist er derjenige, dem du vertrauen musst. Hast du mich verstanden?« Christopher umklammerte meine Schultern, als ob er mich wachrütteln wollte.
Ich rutschte tiefer in den Sessel. Sein Drängen flößte mir ebenso große Angst ein wie seine Ankündigung, dass er gleich nicht mehr er selbst wäre.
»Lass mich nicht allein«, bat ich leise. »Ich brauche dich.«
»Ich weiß. Und deshalb werde ich auch zurückkommen«, antwortete Christopher, bevor er zärtlich mein Gesicht umfasste und sich mit einem langen Kuss verabschiedete.
Der Schutzwall blitzte auf, als Christopher ihn durchbrach. Die Barriere sollte mich vor ihm schützen, doch es fühlte sich so an, als würde sie mich für immer von ihm trennen.
Dunkle Gedanken bahnten sich ihren Weg. Was, wenn Aron recht hatte und Christopher nicht mehr zurückfand? Es gab niemanden, der tief genug in seine Seele blicken konnte, um ihm zu helfen. Aber vielleicht hatte er, nach seinen Erfahrungen mit Sanctifer, bloß niemandem erlaubt, so weit vorzudringen. Und wenn ich es versuchte? Würde er mir vertrauen? Christopher hatte Zugang zu meiner Seele gefunden, weil er mich liebte. Also sollte es auch für mich eine Möglichkeit geben, ihn zu erreichen.
Meine Hoffnung, mutig genug zu sein, um ihm gegenüberzutreten, schwand mit jeder Fessel, mit der Christopher sich an die Wand kettete. Sie waren nicht aus Stoff wie meine. Um Christopher zu bändigen, bedurfte es Ketten aus Eisen.
Er hatte genügend Kerzen angezündet, damit mir nichts entging. Je zwei dicke Stränge legte er um seine Arme und Beine. Selbst seinen Hals fixierte er mit einer Eisenschelle. Allein dasGewicht hätte mich zu Boden gedrückt. Doch Christopher blieb aufrecht. Ein Engel, gebunden in Ketten.
Seine Augen verrieten, dass seine Gedanken schon lange nicht mehr bei mir waren. Sie weilten in der Vergangenheit, erinnerten sich an Sanctifers Übergriffe und das Dasein als Schattenengel.
Die Luft um mich vibrierte. Ihre Temperatur sackte ab auf Minusgrade. Ich zog meine Beine dichter an, um meinem zitternden Körper Wärme zu geben. Es half nichts. Die Kälte drang tief bis in mein Innerstes. Ich sperrte sie aus. Noch nie hatte sie etwas Gutes bedeutet. Sie nahm an Stärke zu. Winzige Eiskristalle schienen in der Luft zu schweben wie Staub. Unaufhaltsam legten sich die winzigen Partikel auf meine Haut, überzogen meine Lungen und bohrten sich bei jedem Atemzug tiefer, bis ich glaubte, zu Eis zu erstarren.
Ich biss in meinen Ärmel, um durch den Stoff zu atmen. Es half ein wenig, doch als ich wieder aufschaute, geriet selbst mein Blut ins Stocken.
Christophers Körper hatte an Größe gewonnen – und er wuchs noch immer. Haarfeine Adern pulsierten auf seinem Leib. Immer dichter verästelten sich die hellroten Fasern, wanden sich unter dem aufgeplatzten Hemd, liefen über seine Arme und schlangen sich um seinen Hals. Zugleich zogen sie alle Farbe und Festigkeit aus Christophers Haut. Selbst seine Haare hatten ihren goldenen Schimmer verloren und wirkten grau wie von Asche überzogen.
Schließlich erreichte das Geflecht Christophers Gesicht und entstellte ihn bis zur Unkenntlichkeit. Sein Körper brach und krümmte sich vor Schmerz. Grauschwarze Flügel, ausgefranst, von
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