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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wert. Man durfte allerdings nur bestimmte Bereiche betreten. Wenn man allein umherstreifte, mußte man sich an die Hinweisschilder halten. Führungen würde es am nächsten Morgen wieder geben.
    Es überlief sie kalt, als sie im Gasthaus aus dem Fenster schaute und in trüber, verzerrter Ferne tatsächlich den Ort sah, wo alles angefangen hatte, wo Suzanne, die weise Frau aus dem Städtchen, einen Geist namens Lasher heraufb e schworen hatte, den Geist, der sich für alle Zeit an Suzannes weibliche Nachkommenschaft gebunden hatte. Es fröstelte sie. Die Dämmerung kam, dicht und glänzend in der feuchten Düsternis, und die ganze Welt dort unten war geheimnisvoll wie in einem Märchen.
    Ein Auto, das hier herkam, konnte man schon von weitem s e hen. Es gab nur eine Straße, und der Blick reichte meilenweit nach Norden und nach Süden. Die meisten Touristen kamen aus den Städten in der Umgebung und mit Bussen.
    Nur wenige Hartgesottene stiegen im Gasthaus ab. Ein Mädchen aus Amerika, das einen Aufsatz über die zerstörten K a thedralen in Schottland schrieb. Ein alter Gentleman, der in diesen entlegenen Gegenden seinem Clan nachforschte; er war überzeugt, daß sein Stammbaum bis zu Robert the Bruce zurückreichte. Ein junges Liebespaar, das sich um niemanden kümmerte.
    Und Lasher und Rowan. Beim Abendessen versuchte er, e t was von den festen Speisen zu sich zu nehmen. Er fand es scheußlich; er wollte an ihr trinken und starrte sie hungrig an.
    Sie hatten die besten und geräumigsten Zimmer, sehr ordentlich und adrett eingerichtet, mit einem Rüschenbett unter der niedrigen, weißgestrichenen Balkendecke, einem dicken Teppich, einem kleinen Kaminfeuer, das die Kälte vertrieb, und einem endlos weiten Blick über das Tal unter ihnen. Er sagte dem Wirt, es dürfe kein Telefon im Zimmer sein, da sie ungestört sein wollten; er sagte ihm, was für Mahlzeiten zu welcher Zeit zubereitet werden müßten, und dann packte er ihr Handgelenk mit seinem schrecklichen, schmerzhaften Griff und sagte: »Wir gehen hinaus ins Tal.«
    Der Marsch über den Hang hinunter und am Ufer des Sees entlang kam ihr endlos vor.
    Ein Halbmond beleuchtete die zerklüfteten, verfallenen Mauern der Burg.
    Die Felsen waren tückisch, aber es gab ausgetretene Pfade. Er kletterte voraus und zog sie hinter sich her. Die Archäol o gen hatten Absperrungen aufgestellt, Hinweisschilder, Warnt a feln, aber es war kein Mensch in der Nähe. Sie gingen, wohin sie wollten. Neue Holztreppen waren in die hohen, halb eingestürzten Türme und hinunter in die Verliese gebaut worden. Er kroch vor ihr her, sicheren Tritts und beinahe hektisch.
    Sie dachte plötzlich, daß dies vielleicht die beste Gelegenheit zur Flucht sei. Wenn sie nur den Mut aufbrächte, könnte sie ihn von einer dieser wackligen Treppen stoßen, und er würde hinunterfallen und unten aufklatschen, würde leiden müssen wie jeder Mensch! Und noch während sie es erwog, fing sie an zu weinen. Sie merkte, daß sie es nicht konnte. Sie konnte ihn nicht einfach so beseitigen. Ihn umbringen? Das konnte sie nicht.
    Es war eine feige und unbedachte Idee, sehr viel unbedachter als ihre Flucht mit ihm. Auch die war unüberlegt gewesen, das war ihr jetzt klar. Es war verrückt gewesen, zu glauben, sie könnte ihn ganz allein im Zaum halten oder beherrschen oder studieren. Sie war so dumm gewesen, so dumm, so dumm. Das Haus allein mit diesem wilden und herrschsüchtigen D ä mon zu verlassen, derart besessen von Stolz und Hybris a n gesichts ihrer eigenen Kreatur!
    Aber hätte er etwas anderes zugelassen? Wenn sie zurückschaute: Hatte er sie nicht getrieben, hatte er sie nicht g e drängt, hatte er nicht unzählige Male gesagt, sie solle sich beeilen? Was hatte er gefürchtet? Michael, ja Michael war jemand, den er fürchten mußte.
    Aber es war mein Fehler. Ich hätte die ganze Situation im Griff behalten können! Ich hätte dieses Wesen unter Kontrolle ha l ten können!
    Und im Licht des Mondes, der den grasbewachsenen Boden in der ausgehöhlten Haupthalle der Burg beschien, fiel es ihr leichter, sich selbst die Schuld zu geben, sich zu züchtigen, sich zu hassen, als ihn zu verletzen.
    Es war ohnehin zweifelhaft, ob es ihr gelungen wäre. Er war stets auf der Hut. Er hatte keine Angst, zu fallen.
    Aber etwas anderes in der Burg machte ihm angst.
    Er zitterte und weinte, als sie hinausgingen. Er sagte, er wolle jetzt die Kathedrale sehen. Der Mond war hinter den Wolken verschwunden, aber das Glen

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