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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nach, das Schloß barst und war danach nicht mehr zu gebrauchen.
    Ich zog den regennassen Mantel aus und ging die Treppe hinauf. Die Tür zum Hauptschlafzimmer stand offen.
    Natürlich erwartete ich, den toten irischen Architekten dort liegen zu sehen, wo er in der Sommerhitze allmählich verweste. Aber bald erkannte ich, daß man ihn wegen der Ansteckungsgefahr bereits weggeschafft hatte. Die abergläubischen irischen Hausmädchen kamen und erzählten es mir; Darcy, die arme Seele, sei bereits unter der Erde, und da die Glocken von St. Alphonsus ohnehin Tag und Nacht läuteten, war keine Zeit für ein Requiem gewesen.
    Das Zimmer war von oben bis unten geschrubbt und gereinigt worden, und es war Katherine, die auf dem Bett lag, einem großen Bett mit geschnitzten schwarzen Löwenköpfen an den vier Pfosten. Sie weinte leise in ein besticktes Kopfkissen.
    Sie sah so klein und zerbrechlich aus, wie meine kleine Schwester sah sie aus. Und so nannte ich sie auch. Ich setzte mich zu ihr und tröstete sie. Sie schluchzte an meiner Schulter. Ihr langes schwarzes Haar war immer noch dicht und weich, und ihr Gesicht hatte noch seine ganze Schönheit. All die verlorenen Kinder hatten ihr ihren Zauber und ihre Unschuld nicht nehmen können, ebenso wenig wie das strahlende Vertrauen in ihren Augen, als sie mich anschaute.
    »Julien, bring mich heim nach Riverbend«, bat sie. »Nimm mich mit nach Hause. Bitte Mutter, mir zu verzeihen. Ich kann hier nicht allein leben. Wohin ich auch schaue, ich sehe nur Darcy, immer nur Darcy.«
    »Ich will es versuchen, Katherine«, sagte ich. Aber ich hatte keinen Zweifel daran, daß es mir nicht gelingen würde, Mutter mit ihr zu versöhnen. Mutter war inzwischen so verrückt, daß sie vielleicht gar nicht mehr wußte, wer Katherine war, oder wer sie einmal gewesen war. Die Sache war völlig außer Kontrolle geraten. Als ich Mutter das letzte Mal gesehen hatte, waren sie und Lasher dabei gewesen, Blumen frühzeitig aus ihren Samenkörnern sprießen zu lassen. Und Lasher hatte Mutter in die Geheimnisse bestimmter Pflanzen eingewiesen, aus denen man einen Trank brauen konnte, von dem man Visionen bekam. So sah Mutters Leben jetzt aus. Allerdings könnte ich ihr erzählen, Katherine sei gestorben und auf die Erde zurückgekehrt, und wir müßten jetzt gut zu ihr sein. Wer weiß? Das würde sie mir vielleicht abkaufen.
    »Keine Sorge, mein schönes Kind«, sagte ich. »Ich bringe dich nach Hause, wenn du willst, und deine kleinen Kinder auch. Die ganze Familie ist dort, wie immer.«
    Sie nickte und machte eine anmutige, hilflose Geste, als wolle sie sagen, daß alles in meiner Hand liege.
    Ich küßte sie und hielt sie in den Armen, und dann bettete ich sie zur Ruhe und versprach ihr, daß ich bis zum Morgen bei ihr sitzen bleiben würde.
    Die Haustür war geschlossen. Die Krankenschwester war fort. Die Kinder waren still, wo immer sie sein mochten. Ich ging hinaus, um eine Zigarre zu rauchen.
    Ich sah Lasher.
    Er stand unten an der Treppe und schaute zu mir herauf. Und mit seiner lautlosen Stimme sagte er: Studiere dieses Haus. Studiere seine Türen, seine Zimmer, seinen Zuschnitt. Riverbend wird untergehen wie die Zitadelle, die wir auf Saint-Domingue erbauten, aber dieses Haus wird bestehen und seinen Zweck erfüllen.
    Ein traumartiges Gefühl überkam mich. Ich ging die Treppe hinunter und begann zu tun, was Sie, Michael, tausendmal getan haben. Ich ging langsam in diesem Haus umher, hier hinein und dort hinaus, ich legte meine Hand an die Türrahmen und auf die Messingknäufe, ich betrachtete sinnend die Gemälde im Eßzimmer und die hübschen Stuckornamente, die allenthalben die Decken zieren.
    Ja, ein schönes Haus, dachte ich. Armer Darcy. Kein Wunder, daß seine Entwürfe so beliebt gewesen waren. Aber vermutlich hatte er kein Hexenblut in sich gehabt. Meine Neffen Clay und Vincent waren so unschuldig wie mein Bruder Rémy.
    Ich trat in den Garten hinaus und sah, was man gemacht hatte: Der Rasen bildete ein großes Oktagon, und ein Oktagon war in die Steinpfosten gemeißelt, an denen die Kalksteinbalustraden endeten. Und überall grenzten Steinplatten winklig aneinander, so daß Linien, Formen und Muster im Mondlicht auf einen einstürmten.
    Als ich in den Flur kam, sah ich ihn noch einmal in der hohen Tür zum Eßzimmer stehen, eine Hand an den Türrahmen gelegt. Wie anmutig sie sich über ihm emporschwang, geformt wie ein Schlüsselloch, oben verjüngt und so noch höher wirkend, als

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