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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ist Ihre Nichte«, sagte der Arzt mit großer Feierlichkeit.
    Und ich schaute auf meine Tochter hinab und sah im Augenwinkel den Teufel in dunstiger Gestalt, meinen Lasher, nicht zu fester Form geronnen, so daß auch andere im Raum ihn hätten sehen können, sondern nur als nebelhafte Erscheinung, die seidenweich meine Schulter streifte. Und die Augen des Kindes hatten ihn auch gesehen! Und der winzige, altkluge Mund des Kindes verzog sich zu einem Lächeln.
    Ihr Schreien verstummte; ihre Händchen öffneten und schlössen sich. Ich drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. Eine Hexe, eine Hexe durch und durch. Der Duft der Macht stieg von ihr auf wie ein Parfüm.
    Und dann kamen die ominösesten Worte, die ich je gehört hatte, ganz vertraulich vom Dämon zu mir.
    »Gut gemacht, Julien. Du hast deine Schuldigkeit getan.«
    Ich war wie vom Donner gerührt. Lautlos und ohrenbetäubend drangen die Silben in mein Bewußtsein.
    Ich schob die rechte Hand hinauf und legte sie dem Baby unter weißem Leinen und Spitzenbesatz um den Hals, grub Daumen und Zeigefinger fest in das blasse Fleisch, ohne daß jemand im Zimmer es bemerkte.
    »Julien, nicht!« flüsterte es in meinem Kopf.
    »Komm, komm«, sagte ich in meiner geheimen Stimme. »Du brauchst mich noch ein Weilchen, damit ich sie beschütze, nicht wahr? Sieh dich doch um, Geist. Schau ausnahmsweise mit dem Verstand eines Menschen hin, nicht mit dem trüben Sinn eines Engels. Was siehst du da? Eine alte Vettel, eine sabbelnde Irre und einen Säugling. Wer wird dem Kind beibringen, was es wissen muß? Wer wird da sein, um sie zu schützen, wenn sie anfängt, ihre Gaben zu zeigen?«
    »Julien, ich habe nie gesagt, daß ich dir etwas antun will.«
    Ich lachte, und alle dachten, ich lachte über das zappelnde Kind, dessen kleine Augen sich fest auf etwas gerichtet hatten, das niemand sonst sehen konnte, gleich über meiner Schulter. Ich gab das Kind den Ammen, und sie badeten es noch einmal, um es für seine Mutter bereitzumachen.
    Ich zog mich aus dem Zimmer zurück, kochend vor Wut. Du hast deine Schuldigkeit getan! In der Tat – war es das von Anfang an gewesen? Höchstwahrscheinlich. Der ganze Rest war Spielerei gewesen, und das wußte ich.
    Aber auch das wußte ich: In allen Himmelsrichtungen um mich herum blühte und gedieh eine großartige und wohlhabende Familie, eine Familie von Menschen, die ich liebte, die mich bis zu diesem frevelhaften Akt ebenfalls geliebt hatten und die mich wohl immer noch lieben würden, wenn ich mir ihre Vergebung verdienen könnte. Und in dem Zimmer hinter mir war ein liebreizendes Kind, das mein Herz anrührte, wie es Kinder immer getan haben – und dieses Kind war mein. Mein Erstgeborenes!
    All das Gute, dachte ich, das Gute, aus dem das Leben selbst besteht! Und zur Hölle mit diesem Dämon, daß ich ihn nicht loswerde!
    Aber mit welchem Recht beklagte ich mich? Mit welchem Recht bedauerte ich das? Mit welchem Recht schämte ich mich? Ich hatte mich schon in frühesten Jahren von dem Wesen versklaven lassen, obwohl ich gewußt hatte, daß es verräterisch und launisch und aufgeblasen und selbstsüchtig war. Ich hatte es gewußt, und ich hatte ihm in die Hände gespielt, wie alle Hexen es getan hatten, wie die ganze Familie es tat.
    Und wenn es mich jetzt leben lassen sollte, dann mußte ich ihm von erkennbarem Nutzen sein. Ich mußte mir etwas überlegen. Mary Beth zu lehren, das wäre nicht genug. Nein, nicht annähernd genug. Schließlich war das Wesen selbst ein verdammt guter Lehrer. Nein, ich mußte mir rasch etwas einfallen lassen, und ich würde meine ganzen Hexertalente dazu brauchen.
    Und während ich noch brütete, kam die Familie zusammen. Die Leute liefen herbei, rufend und winkend und händeklatschend.
    »Es ist ein Mädchen, es ist ein Mädchen! Endlich hat Katherine ein Mädchen bekommen!«
    Und plötzlich war ich von liebevollen Händen umgeben und mit liebevollen Küssen überhäuft. Es war völlig in Ordnung, daß ich meine Schwester vergewaltigt hatte – vielleicht hatte ich auch genug gebüßt; was weiß ich. Aber Riverbend füllte sich mit fröhlichen Stimmen. Champagnerkorken knallten, Musik spielte. Das Baby wurde auf der Galerie in die Höhe gehoben. Die Schiffe auf dem Fluß ließen zu Ehren unserer unübersehbaren Festlichkeiten ihre Sirenen ertönen.
    O Gott im Himmel, dachte ich. Was wirst du jetzt anfangen, du Ruchloser? Was wirst du tun, um am Leben zu bleiben und dieses winzige Kind vor der vollständigen

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