Tanz der Hexen
wir werden ihm ein Ende machen. Wir sind sehr stark, wir alle zusammen…«
Sie brach ab; die Verwandten ringsumher waren verstummt. Das Schweigen verbreitete sich im Flur.
»Das Ding ist ganz allein«, sagte sie leise.
Nur Tante Evelyn weinte immer noch, leise und weit entfernt. »Meine lieben Kinder, meine Kinder, meine Kinder…«
Und dann fing Bea an zu weinen. Und Mona gleich darauf. Und Pierce sagte: »Nimm dich zusammen. Ich brauche dich.«
Und die andern weinten weiter, aber Mona hörte auf und war ruhig.
17
Juliens Geschichte wird fortgesetzt
Die Tage nach Mary Beths Geburt waren die dunkelsten meines Lebens. Wenn ich die Dinge je moralisch sah, dann in jenen Augenblicken. Den genauen Grund dafür kann ich nicht mit Sicherheit angeben, und da er auch nicht der Gegenstand dieser Erzählung ist, werde ich rasch darüber hinweggehen.
Ich will nur sagen, daß ich als altkluges Kind an Mord, Hexerei und an das Böse im allgemeinen gewöhnt war, ehe ich Zeit hatte, das alles zu bewerten. Der Krieg, der Verlust meiner Schwester, die nachfolgende Vergewaltigung – all das hatte mir nur noch weiter erhellt, was ich inzwischen bereits argwöhnte: daß ich etwas Tiefes und Wertvolles brauchte, um glücklich zu sein. Reichtum war nicht genug, und Fleischeslust war nicht genug. Wenn meine Familie nicht wuchs und gedieh, konnte ich nicht atmen! Und ich wollte atmen. Ich war ebenso wenig bereit, das Leben fahren zu lassen – Gesundheit, Freude, Wohlstand -, wie es ein neugeborenes Baby war, das so laut schrie, wie Mary Beth geschrien hatte.
Auch wollte ich meine Tochter kennen und lieben. Mehr als alles andere wollte ich es, und zum ersten Mal begriff ich, warum der Kern so vieler Legenden und Märchen aus diesem einfachen Schatz besteht – aus einem Kind, einem Erben, einem Säugling, den ich in den Armen hielt und der aus mir selbst und einem anderen Menschen entstanden war.
Genug. Sie verstehen mich schon. Mein Leben hing an einem Faden, und ich wußte, ich wollte es nicht verlieren.
Was konnte ich tun?
Die Antwort kam binnen weniger Tage. Ich sah, daß der Dämon unablässig Mary Beths Wiege umlungerte. Alle ändern sahen es auch. »Der Mann« gab Mary Beth seinen Segen. Mary Beths kleine Babyaugen konnten ihn stark und fest werden lassen. Er bewachte das Kind; er umschmeichelte es bereits. Und das Wesen erschien in meiner Gestalt! Es kleidete sich in meinem Stil, übernahm meine Gewohnheiten, verströmte, wenn Sie so wollen, meinen Charme!
Ich rief die Kapelle zusammen, damit sie spielte – ein Getöse, das mir allmählich ebenso auf die Nerven ging wie ein schmerzender Zahn, der nicht gezogen werden kann -, und versuchte, mit Marguerite über Lasher zu sprechen, über das, was er war und was man je über ihn gewußt hatte.
Sie äußerte sich kaum vernünftig, redete nur von ihrer Macht, Pflanzen wachsen zu lassen, Wunden zu heilen und Tränke zu brauen, die ihr vielleicht ein langes Leben schenken würden. »Der Dämon wird eines Tages Fleisch werden wollen, und wenn er durchdringen kann, dann können wir es auch. Die Toten können durch dieselbe Pforte zurückkehren.«
»Das ist ein ganz und gar grauenvoller Gedanke«, sagte ich.
»Das meinst du nur, weil du nicht tot bist. Wart’s ab!«
Ich fuhr in die Stadt, in mein Haus in der Rue Dumaine. Es regnete wieder, wie an dem Abend, als ich zum Haus in der First Street gefahren war, und der Regen hat schon immer meine Nerven beruhigt und mich glücklich gestimmt. Ich öffnete die Türen zur Veranda und ließ den Regen hereinprasseln, rauschend und schön, und er troff auf das Eisengeländer und bespritzte die Seidengardinen. Was kümmerte mich das? Ich hätte mir Vorhänge aus Gold vor die Fenster hängen können, wenn ich gewollt hätte.
Ich legte mich auf das Bett, verschränkte die Hände hinter den Kopf, stützte einen Fuß auf das Fußende und führte im Geiste meine verschiedenen Sünden auf – nicht die Sünden der Leidenschaft, denn die zählte ich nicht -, sondern die Sünden der Bosheit und der Grausamkeit.
Nun, dachte ich, du hast diesem verfluchten Dämon deine Seele gegeben. Was kannst du ihm mehr geben? Du kannst ihm versprechen, das Kind zu schützen und zu stärken, aber das Kind sieht ihn ja schon. Er kann das Kind selbst lehren, und das weiß er bestimmt. Und als der Regen erstarb und der Mond hervorkam und die Rue Dumaine mit seinem Licht überflutete, da sah ich die Antwort. Ich würde ihm meine menschliche Gestalt geben.
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