Tanz der Hexen
Meine Seele hatte er ja schon. Warum ihm nicht meine Gestalt geben, die er schon dauernd imitierte? Ich würde ihm anbieten, meinen Körper in Besitz zu nehmen.
Ich wußte nicht, ob er mich über mehrere Meilen hinweg hören konnte oder wollte, aber ich rief ihn jetzt.
Binnen weniger Augenblicke sah ich, wie er neben dem ovalen Spiegel in der Ecke Gestalt annahm. Und ich sah sein Spiegelbild! Das hatte ich noch nie erblickt. Wie seltsam, daß ich bisher nicht einmal daran gedacht hatte. Er verschwand auch gleich wieder. Aber er hatte gelächelt und mir gezeigt, daß er ebenso schön gekleidet war wie ich.
»Willst du im Fleische sein?« fragte ich. »Willst du mit meinen Augen sehen? Warum fährst du nicht in mich? Ich will stillhalten, während du in mir bist und mit mir anfängst, was du willst, solange du die Kraft dazu hast.«
»Das würdest du tun?«
»Meine Ahnfrauen haben diese Einladung doch sicher auch schon ausgesprochen. Sicher hat Deborah dich aufgefordert, in sie zu fahren, und Charlotte auch.«
»Verspotte mich nicht, Julien«, sagte er mit seiner kalten, geheimen, tonlosen Stimme. »Du weißt, daß ich nicht in den Körper einer Frau fahren würde.«
»Ein Körper ist ein Körper«, sagte ich.
»Aber ich bin keine Frau.«
»Nun, jetzt steht dir eine männliche Hexe zu Gebote. Ich mache dir das Angebot. Vielleicht war es mir so bestimmt. Komm in mich; ich lade dich ein. Ich öffne mich für dich. Nah genug warst du mir ja schon.«
»Verspotte mich nicht«, sagte er noch einmal. »Wenn ich Liebesspiele mit dir treibe, dann geschieht das von Mann zu Mann, wie es schon immer war.«
Ich lächelte und sagte nichts. Aber ich war mächtig amüsiert angesichts dieser Demonstration von Männerstolz; sie paßte haargenau zu meiner Vorstellung von der kindischen Natur dieses Wesens. Ich dachte daran, wie sehr ich es haßte und wie tief ich diesen Gedanken in meiner Seele vergraben mußte. Und so träumte ich davon, wie er mich mit seinen Küssen und Liebkosungen beschwichtigte. »Du kannst mich nachher belohnen, wie du es immer getan hast.«
»Es wird schwer erträglich für dich sein.«
»Für dich werde ich es ertragen. Du hast auch viel für mich getan.«
»Aye, und jetzt fürchtest du mich.«
»Ja, ein bißchen. Ich will leben. Ich will Mary Beth erziehen. Sie ist mein Kind.«
»Schweigen. »In dich fahren…«, sagte es.
»Und du wirst mich nicht mit all deiner Macht vertreiben.«
»Ich werde mein Bestes tun, um mich wie ein perfekter Gentleman zu benehmen.«
»Oh, du bist so anders als eine Frau.«
»Wirklich? Inwiefern?« fragte ich.
»Du liebst mich niemals wirklich so, wie sie es tun.«
»Hmm, ich könnte zu alldem viel sagen«, antwortete ich. »Aber sei einstweilen nur versichert, daß wir beide uns gegenseitig dienlich sein können. Wenn Frauen zu heikel sind, derlei zu sagen, dann haben sie hoffentlich andere Mittel und Wege, um an ihr Ziel zu kommen.«
»Gelächter.«
»Du kannst lachen, wenn du in mir bist. Das weißt du.«
Es wurde totenstill im Zimmer. Die Gardinen hingen wie tot an ihren Stangen. Der Regen hatte aufgehört. Die Galerie glänzte im Mondlicht. Mir war, als spürte ich eine Leere. Die Haare sträubten sich mir am ganzen Körper, daß es kribbelte. Ich richtete mich auf und versuchte mich vorzubereiten, ohne zu wissen, worauf – und dann war das Ding donnernd auf mich herabgekommen, umgab mich, umschloß mich, und ich verspürte eine machtvolle, trunkene Ohnmacht, und alle äußeren Geräusche waren zu einem einzigen Tosen verschmolzen.
Ich stand, ich ging, aber ich fiel. Es war schemenhaft, unbestimmt, alptraumartig; die Treppe erschien vor mir, die glänzende Straße. Leute winkten mir sogar zu, und durch ein großes, rollendes Meer von Wasser hörte ich das Echo ihrer Stimmen: »Eh bien, Julien!«
Ich wußte, daß ich ging, weil es so sein mußte. Aber ich spürte keinen Boden unter meinen Füßen, kein Gleichgewicht, kein Oben, kein Unten, und mir wurde schlecht vor Grauen. Ich hielt mich zurück; ich wehrte mich nicht, sondern bemühte mich mit aller Macht, mich entspannt in diesem Ding zurückzulehnen, mich hineinfallen zu lassen, auch wenn ich glaubte, das Bewußtsein zu verlieren.
Die Verwirrung, die folgte, war schier endlos.
Die Uhr zeigte zwei, als ich den nächsten zusammenhängenden Gedanken faßte. Ich saß immer noch in der Rue Dumaine, aber in einem Cafe, an einem kleinen Marmortisch. Ich rauchte eine Zigarette; mein Körper war
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