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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ebenso.«
    »Ist das wahr? Soll das heißen, daß alle unsere Verwandten, unsere ganze Familie, alle unsere Nachkommen…«
    »Ja, alle sind gesegnet, die Mächtigsten auf der Erde. Gesegnet. Sieh nur, was ich in deiner Zeit getan habe. Ich kann mehr tun, viel mehr, und wenn ich wieder wahrhaft im Fleische bin, dann werde ich einer von euch sein!«
    »Versprich mir das«, sagte ich. »Schwöre es.«
    »Ihr werdet alle bewahrt werden. Ihr alle.«
    Ich schloß die Augen. Ich sah das Glen, die Kathedrale, die Kerzen, die Prozession der Dorfbewohner, das Christkind. Der Dämon schrie vor Schmerzen.
    Nirgends ein Laut. Nur die öde Straße, das Cafe, die offene Tür, der Wind, aber der Dämon kreischte vor Schmerzen, und nur ich, Julien Mayfair, konnte es hören.
    Konnte das Kind Mary Beth es hören?
    Der Dämon war fort. Rings um mich herum lag die flache, natürliche Welt, wieder ungestört und wunderschön normal. Ich stand auf, setzte den Hut auf, nahm meinen Stock, ging quer über die Canal Street in den American District und weiter zu einem nahegelegenen Pfarrhaus. Ich kannte die Kirche gar nicht. Es war irgendeine neue Kirche, in einer Gegend voller irischer und deutscher Einwanderer.
    Ein irischer Priester kam heraus, denn irische Priester waren damals überall. Wir waren Missionarsland für die Iren, die sich zu jener Zeit vorgenommen hatten, die Welt zu bekehren, ganz wie sie es schon zur Zeit St. Brendans versucht hatten.
    »Hören Sie«, sagte ich, »wenn ich einen Teufel austreiben wollte, würde es dann helfen, wenn ich genau weiß, wer es ist? Wenn ich seinen Namen kenne, sofern er einen hat?«
    »Ja«, sagte er, »aber Sie sollten so etwas einem Priester anvertrauen. Seinen Namen zu kennen, könnte ein sehr sehr großer Vorteil sein.«
    »Das dachte ich mir«, sagte ich.
    Ich blickte auf. Wir standen vor der Tür des Pfarrhauses am Straßenrand, aber zur Rechten lag ein ummauerter Garten. Und jetzt sah ich, daß die Bäume anfingen zu schwanken und ihre Blätter abzuwerfen. Ein so starker Wind kam auf, daß er sogar die kleine Glocke im Kirchtürmchen ins Schwingen brachte.
    »Ich werde seinen Namen herausfinden«, sagte ich.
    Je mehr die Bäume sich schüttelten, je mehr Blätter der Sturm hochpeitschte, desto deutlicher wiederholte ich es.
    »Ich werde seinen Namen herausfinden.«
    »Um sicherzugehen«, sagte der Priester, »tun Sie das. Denn es gibt viele, viele Dämonen. Die gefallenen Engel, alle miteinander, und die alten Götter der Heiden, die zu Dämonen wurden, als Christus geboren wurde…«
    »Die alten Götter der Heiden?« fragte ich. In diesen Bereich der Theologie war ich noch nicht gestoßen. »Ich dachte, die alten Götter waren falsche Götter und existierten nicht? Und unser Gott sei der eine, wahre Gott?«
    »Oh, die Götter existierten durchaus, aber sie waren Dämonen. Sie sind die Spukgeister, die uns bei Nacht heimsuchen: abgesetzt, bösartig, rachsüchtig. Genauso das Feenvolk. Die kleinen Leute. Ich habe die kleinen Leute gesehen. In Irland und hier habe ich sie gesehen.«
    »Aha«, sagte ich. »Darf ich in Ihrem Garten Spazieren gehen?« Ich gab ihm eine Handvoll amerikanische Dollar. Er freute sich und ging hinein, um mir das Tor in der Ziegelmauer aufzuschließen.
    »Es gibt anscheinend Sturm«, sagte er. »Der Baum da wird durchbrechen.« Seine Soutane flatterte in alle Himmelsrichtungen.
    »Gehen Sie nur ins Haus«, sagte ich. »Ich habe den Sturm gern, und ich mache das Tor nachher hinter mir zu.«
    Ich stand allein zwischen den Bäumen in dem engen kleinen Garten mit wilden Wicken und ein paar vereinzelten, leuchtend rosaroten Lilien. Die Bäume peitschten jetzt wie rasend hin und her. Die Lilien wurden abgerissen und zertrampelt, als habe der Wind schwere Stiefel an. Ich mußte mich mit einer Hand an einem Baumstamm festhalten, um nicht umzufallen. Ich lächelte.
    »Nun? Was kannst du mir tun?« fragte ich. »Mich mit Blättern bewerfen? Laß es doch regnen, wenn du willst. Ich ziehe mich um, wenn ich nach Hause komme. Tu nur, was du kannst!«
    Ich wartete. Die Bäume kamen zur Ruhe. Ein paar verirrte Regentropfen fielen auf den ziegelgepflasterten Gartenweg. Ich bückte mich und hob eine der zerdrückten und abgebrochenen Lilien auf.
    Ich hörte ein machtvolles, leises, aber unleugbares Weinen. Nicht hörbar, wohlgemerkt, nicht mit dem Ohr. Nur in meiner Seele. Es war das Weinen eines gebrochenen Herzens.
    Es lag mehr als Trauer darin. Da war auch Würde. Da war eine

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