Tanz der Hexen
knarren und ächzen, bevor er die Tür zuschlug und aufs Gaspedal trat. Sie bogen wieder auf die randstreifenlose Straße ein.
»Sind wir noch in Texas?«
»Nein, Ma’am. Louisiana. Ich wünschte wirklich, Sie ließen sich zum Arzt bringen.«
»Es geht schon.«
Kaum hatte sie es gesagt, als der Schmerz sich wieder fest zusammenkrallte, und fast hätte sie aufgeschrien. Sie spürte den scharfen Stich von innen.
Emaleth, um der Liebe Gottes und deiner Mutter willen.
Aber Mutter, es wird enger und enger hier. Mutter, ich habe Angst. Wo ist Vater? Kann ich ohne Vater in die Welt geboren werden?
Noch nicht, Emaleth. Sie seufzte und drehte das Gesicht zur Straße. Der große Laster raste mit neunzig Meilen pro Stunde auf der engen Straße mit den zerbröckelnden Banketten und den Gräben dahin, und der Purpurhimmel darüber wurde dunkler, während die Bäume dichter heranrückten und höher wurden. Die Scheinwerfer brannten einen hellen Weg vor ihnen in die Dunkelheit. Der Fahrer pfiff vor sich hin.
»Was dagegen, wenn ich’s Radio anmache, Ma’am?«
»Bitte«, sagte sie.
Wieder kam ein Stich. Die geschmeidigen, dunklen Stimmen der Judds klangen aus dem kleinen Lautsprecher. Sie lächelte. Teufelsmusik. Wieder ein Stich, und sie warf sich nach vorn und stützte sich gegen das Armaturenbrett.
Mutter …
Ich bin hier, Emaleth.
Die Zeit kommt.
Das kann noch nicht sein. Bleib ruhig. Warte, bis wir beide sicher sind.
Aber wieder schlang sich ein Ring von Schmerz um ihren Leib, preßte sich weißglühend in ihr Kreuz. Dann kam noch ein Stich – und das lautlose Gefühl von etwas Zerplatzendem. Flüssigkeit rann ihr zwischen den Beinen herunter. Sie fühlte die Nässe, und gleichzeitig wich das Blut aus ihrem Gesicht. Diese schreckliche Benommenheit – du wirst ohnmächtig…
»Halten Sie hier an«, sagte sie.
Zunächst verstand er nicht.
»Brauchen Sie Hilfe, Lady?«
»Nein. Halten Sie den Laster an. Sehen Sie die Lichter dort? Da halten Sie an. Da muß ich hin. Halten Sie den Laster an!« Mit blitzenden Augen starrte sie ihn an. Sie sah, daß sie ihn einschüchterte, ihm angst machte. Aber er rollte auf den Parkplatz.
»Wissen Sie denn, wer da hinten wohnt?«
»Natürlich.« Sie riß die Tür auf und kletterte hinaus; sie stolperte auf der Stufe. Ihr Kleid war durchnäßt. Zweifellos war der Sitz feucht, und im grellen Licht der entgegenkommenden Scheinwerfer konnte er es sehen. Der arme Mann. Wie abscheulich ihm das alles vorkommen mußte. Er mußte glauben, sie habe die Kontrolle über ihre Blase verloren.
»Fahren Sie nur weiter, danke.« Sie schlug die Tür zu. Aber sie hörte ihn drinnen rufen.
»Ma’am, Ihre Handtasche. Hier. Nein, nein, das ist okay. Sie haben mir schon reichlich Geld gegeben.«
Der Truck fuhr nicht weiter. Sie durchquerte den Graben, kletterte hastig auf der anderen Seite ins hohe Gras hinauf und drang dann in die dichten Reihen der Bäume ein, in den leisen, unermüdlichen Chor der Baumfrösche. Vor sich sah sie Licht, und sie ging darauf zu. Jetzt endlich hörte sie, wie der Lastwagen abfuhr; innerhalb weniger Sekunden verklang das Geräusch in der Stille.
Ich suche einen Platz, Emaleth, einen weichen, trockenen Platz. Sei still und hab Geduld.
Mutter, ich kann nicht. Ich muß herauskommen.
Sie war durch die Bäume auf eine Lichtung gelangt. Die Lichter, die sie gesehen hatte, lagen weit abseits zur Rechten. Sie kümmerte sich nicht darum. Es war die weite Wiese, die vor ihr lag, und eine wunderschöne Eiche, ungeheuer groß und beinahe tragisch auf die langen Äste gestützt, als recke sie sich dem Wald entgegen in dem vergeblichen Bemühen, mit ihm zu verschmelzen.
Die Eiche brach ihr plötzlich das Herz mit ihren riesigen, knorrigen Ästen und ihren mächtigen Barten aus dunklem Moos, und in der sanft leuchtenden Sternennacht war der Himmel so hell.
Es ist schön, bitte, Emaleth. Emaleth, wenn ich sterbe, geh zu Michael. Und wieder rief sie sich Michaels Gesicht vor Augen, die Hausnummer, die Telefonnummer – Daten für den winzigen Verstand in ihr, der wußte, was sie wußte.
Mutter, ich kann nicht geboren werden, wenn du stirbst. Mutter, ich brauche dich. Ich brauche Vater.
Der Baum war so klar umrissen, so massiv und anmutig. Eine bezaubernde Vision von den Wäldern alter Zeiten stieg vor ihr auf, wo Bäume wie dieser hier Tempel gewesen sein mußten. Sie sah ein grünes Feld und waldbedeckte Berge.
Donnelaith, Mutter. Vater sagte, ich sollte nach
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