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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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große Tiefe, schrecklicher als jedes Lächeln, jeder Gesichtsausdruck, der je dazu gedacht war, mir Angst einzujagen. Und die Trauer mischte sich in meiner Seele mit jener erinnerten Euphorie.
    Lateinische Worte kamen mir in den Sinn, aber ich kannte sie in Wirklichkeit gar nicht. Sie entsprangen mir, als wäre ich ein Priester, als betete ich eine Litanei. Ich hörte den Klang von Flöten, ich hörte Glockenläuten.
    »Das ist das Teufelsläuten«, sagte jemand. »Den ganzen Weihnachtsabend werden die Glocken läuten, um den Teufel aus dem Glen zu treiben und um das kleine Volk zu erschrecken.«
    Und dann war der Himmel still. Ich war allein. Im Garten war es ruhig; es war einfach wieder New Orleans, und die warme südliche Sonne schien auf mich herab. Der Priester spähte zur Tür heraus.
    »Merci, mon Père«, sagte ich, lüftete den Hut und ging.
    Die Straßen waren erfüllt von sanftem Sonnenschein und Wind. Ich ging durch den Garden District nach Hause in die First Street, und da saß meine wunderschöne Mary Beth auf der Treppe, und er war bei ihr, ein Schatten, eine Luftgestalt, und beide schienen froh, mich zu sehen.

 
18

    Die hellen Leuchtstofflampen der Tankstelle waren eine Insel im dunklen Sumpfland. Die kleine Telefonzelle war nicht mehr als eine Plastikhülle um ein einzelnes, verchromtes Telefon. Die winzigen viereckigen Nummern verschwammen ihr vor den Augen. Sie konnte sie nicht mehr erkennen, was sie auch tat.
    Wieder ertönte das Besetztzeichen. »Bitte versuchen Sie noch einmal, durchzukommen«, sagte sie zu der Telefonistin. »Ich muß Mayfair und Mayfair erreichen. Da gibt es mehr als eine Leitung. Bitte versuchen Sie es für mich. Sagen Sie, es ist ein Notruf von Rowan Mayfair.«
    »Ma’am, sie nehmen den Unterbrechungsruf nicht an. Sie bekommen von überallher Unterbrechungsrufe.«
    Der Fahrer war wieder in seine Kabine geklettert. Sie hörte, wie der Motor ansprang. Sie winkte ihm, zu warten, und nannte der Vermittlung hastig die Nummer ihres Hauses. »Das ist meine Wohnung; wählen Sie für mich, bitte. Ich kann nicht… kann die Zahlen nicht lesen.«
    Der Schmerz kam zurück, ein eng gespannter Draht, ein Schmerz, der sich um sie wickelte, ganz wie ein Menstruationskrampf, aber viel schlimmer als alles, was sie je erlebt hatte.
    »Michael, bitte melde dich. Michael, bitte…«
    Es klingelte und klingelte.
    »Ma’am, wir haben es zwanzigmal läuten lassen.«
    »Hören Sie, ich muß jemanden erreichen. Tun Sie das für mich. Lassen Sie es weiter klingeln. Sagen Sie ihnen…«
    Irgendein amtlicher Einwand war die Antwort. Aber der gewaltige, markerschütternde Lärm des Dieselmotors übertönte alles. Qualm quoll aus dem kleinen Rohr am vorderen Ende der Zugmaschine.
    Als sie sich umdrehte, rutschte ihr der Hörer aus den Fingern und fiel klappernd gegen das Plastikgehäuse.
    Mutter, hilf mir. Wo ist Vater?
    Wir schaffen es schon, Emaleth. Sei still, sei ruhig. Hab Geduld mit mir.
    Sie trat vor, war sich des Bodens, der Entfernungen, sämtlicher Anhaltspunkte gerade noch sicher und fiel im nächsten Augenblick auf den Asphalt. Ihre Knie schlugen mit wildem Schmerz auf, und sie fühlte, wie sie vornüber kippte.
    Mutter, ich habe Angst.
    »Halt dich fest, mein kleines Mädchen. Halt dich fest.« Sie stemmte die Hände auf den Boden, um sich aufzustützen. Nur ihre Knie waren verletzt. Zwei Männer kamen aus dem Tankstellenhäuschen auf sie zugerannt, und der Lastwagenfahrer war ebenfalls ausgestiegen, um ihr zu helfen.
    »Sind Sie okay, Lady?« fragte er.
    »Ja. Fahren wir«, sagte sie und schaute hoch, dem Mann ins Gesicht. »Wir müssen uns beeilen!« Die Wahrheit war: Wenn sie sie nicht hochgezogen hätten, dann hätte sie nicht aufstehen können. Sie stützte sich auf den Arm des Truckers. Der Himmel jenseits der Sümpfe war purpurn.
    »Konnten Sie niemanden kriegen?«
    »Nein«, sagte sie. »Aber wir müssen schleunigst weiter.«
    »Lady, ich muß meinen Stop in St. Martinville machen. Daran führt kein Weg vorbei; ich muß dort eine Ladung abholen…«
    »Ich verstehe schon. Ich rufe dann von dort noch einmal an. Fahren Sie einfach, bitte. Los. Bringen Sie uns weg von hier.«
    Hier. Die isolierte Tankstelle am Rande des Sumpfes, der purpurne Himmel darüber, die durchschimmernden Sterne und ein großer, heller aufgehender Mond.
    Er hob sie mit ziemlicher Mühelosigkeit hoch und setzte sie auf den Sitz, und dann kam er herum, löste die Handbremse und ließ den riesigen Truck

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