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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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groß; viele Blätter hatten sich aus der Bindung gelöst, so daß es eher eine Mappe mit beschädigten Seiten war. Als er es ins Licht legte, sah ich, daß die Blätter dicht beschrieben waren.
    Eine Art Stammbaum war hier aufgeführt, und er fuhr mit dem Finger daran herunter.
    »Ah, hier – können Sie das lesen? Aber natürlich nicht. Es ist Gälisch. Aber hier steht Ashlar, Sohn des Olaf, Gatte der Janet, Begründer des Clans von Drummard und Donnelaith, ja, da steht es. Das Wort Donnelaith – und wenn ich bedenke, daß ich es all die Jahre niemals entdeckt habe. Obgleich ich den Namen Ashlar schon an zahllosen Stellen gefunden habe. Ja, St. Ashlar.«
    Er blätterte die weichen, brüchigen Seiten um, bis er erneut anhielt. »Ashlar«, sagte er und entzifferte die gedrängte Handschrift. »Ja, König von Drummard – Ashlar.«
    Aufmerksam las er den Text, übersetzte ihn für mich und notierte sich hin und wieder etwas mit Bleistift in einem Block.
    »König der Heiden, Ashlar, geliebt von seinem Volke, Gemahl der Königin Janet, Herrscher von High Dearmach, weit nördlich des Großen Glen in den Wäldern des Hochlandes. Bekehrt im Jahre 566 durch den Hl. Columban aus Irland. Ja, hier ist sie, die Legende vom Hl. Ashlar. Starb zu Drummard, wo eine große Kathedrale errichtet ward in seinem Namen. Drummard wurde später zu Donnelaith, wissen Sie. Reliquien… Heilungen… ah, aber seine Gemahlin Janet weigerte sich, den heidnischen Glauben abzulegen, und wurde für ihren störrischen Hochmut auf dem Scheiterhaufen verbrannt. ›Und da der große Heilige ihren Verlust betrauerte, entsprang ein Quell aus dem verbrannten Boden, in welchem Tausende getauft wurden.‹«
    Das Bild lahmte mich regelrecht. Janet, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Heilige, die magische Quelle. Ich war so überwältigt, daß ich kein Wort hervorbrachte.
    Der Gelehrte war fasziniert. Er versprach mir hastig, daß man alles abschreiben und mir zusenden werde.
    Und jetzt nahm er sich seine anderen Bücher vor, und in der Geschichte der Pikten fand er Ashlar und Janet wieder, und auch die grausige Geschichte, wie Janet den christlichen Glauben abgelehnt und sich tatsächlich erboten hatte, im Feuer zu sterben; sie hatte ihre Sippe und ihren Gemahl verflucht und es vorgezogen, lieber durch das Feuer den Göttern überantwortet zu werden, statt unter feigen Christen zu leben.
    »Nun ist das alles Legende, wohlgemerkt. Niemand weiß wirklich etwas über die Pikten, wissen Sie. Und es ist verwirrend. Hier steht nicht einmal eindeutig, daß sie Pikten waren. Hier, sehen Sie diese gälischen Worte; sie bedeuten: ›Große Männer und Frauen aus dem Glen‹. Und das hier, das ließe sich grob übersetzen mit ›die großen Kinder‹.
    Ah, hier: König Ashlar besiegte die Dänen im Jahr 567 und schwenkte das Flammenkreuz über ihren fliehenden Heerscharen. Janet, Tochter des Ranald, verbrannt auf dem Scheiterhaufen durch Ashlars Clan im Jahre 567, obgleich der Heilige selbst daran unschuldig war und seine bekehrten Anhänger anflehte, Gnade walten zu lassen.«
    Er nahm noch ein Buch herunter.
     
    LEGENDEN DES HOCHLANDS
     
    »Ah, hier haben wir’s. St. Ashlar, in manchen Gegenden Schottlands noch bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein verehrt, vor allem von jungen Mädchen, die ihre geheimsten Wünsche erfüllt haben wollten. Kein echter, kanonischer Heiliger.«
    Er klappte das Buch zu. »Nun, das wundert mich nicht. Kein echter, kanonischer Heiliger. Es ist zu früh für uns, das alles Geschichte zu nennen. Es bedeutet, daß er nie von Rom kanonisiert wurde, wissen Sie. Wir haben es mit einem zweiten St. Christophorus zu tun.«
    »Ich weiß«, sagte ich, aber die meiste Zeit schwieg ich, wiederum in den Erinnerungen versunken. Ich sah die Kathedrale, ganz deutlich. Zum ersten Mal sah ich die Fenster richtig -schmal, hoch, mit bunten Glasstücken ausgefüllt, die aber keine Bilder formten, sondern Glasmosaike in Gold, Rot und Blau -, und die Fensterrosette, ah, die Rosette! Und plötzlich sah ich die Flammen. Ich sah das Glas zerbersten. Ich hörte das Geschrei der Meute. Ich fühlte mich so sehr inmitten all dessen, daß mir für einen Augenblick meine Körpergröße bewußt war, als ich vor der heranbrandenden Menge stand, und ich sah meine eigenen Hände, als ich sie ihnen entgegenstreckte!
    Ich schüttelte das alles ab. Der alte Professor musterte mich neugierig.
    Ich seufzte tief. Ich wollte mich nicht noch einmal von den Erinnerungen aus

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