Tanz der Hexen
der Gegenwart fortreißen lassen. Was hatten die Erinnerungen mich gelehrt?
Er blätterte ein paarmal um. »Ah, hier, sehen Sie, ein grober Stammbaum des Clans von Donnelaith. König Ashlar – und dann schauen Sie hier, der Urenkel, Ashlar der Ehrwürdige, und hier noch ein Nachkomme, Ashlar der Selige, vermählt mit der normannischen Königin Mora. Du liebe Güte, es gibt zahllose Ashlars.«
»Aha.«
»Und hier ein Ashlar, und noch ein Ashlar, aber Sie können das Fortschreiten dieses Namens verfolgen – das heißt, wenn Sie glauben, daß alle diese Häuptlinge wirklich existierten. Wissen Sie, diese Clans schwelgten in solchen Dingen, und ihre vergangenheitsbesessenen Nachkommen schrieben dann bunt ausgeschmückte Berichte nieder. Ich weiß nicht…«
»Es genügt durchaus, um meine Gelüste für den Augenblick zu befriedigen«, sagte ich.
»Ah, Gelüste, ja, das ist das richtige Wort, nicht wahr?« Er klappte das Buch zu. »Es muß noch mehr geben. Ich werde es für Sie finden.«
Er setzte sich und begann, die Bücher zu halbwegs geordneten Stapeln aufzutürmen. »Wenn es irgendwo irgendeinen Hinweis darauf gibt, daß Aufzeichnungen aus Donnelaith anderswo hingeschafft wurden, dann werde ich ihn finden. Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, was ich vermute: Es gibt nichts mehr. Ein Land voller Klöster und Kathedralen hat damals seine Schätze verloren. Und für Heinrich, den Schurken, war es alles nur Geld. Er wollte Geld, und er wollte Anne Boleyn heiraten. Ach, es ist zum Verzweifeln, daß ein einzelner Mann eine solche Gezeitenwende herbeiführen konnte! Aber hier, schauen Sie: ›St. Ashlar, der Heilige der jungen Mädchen, die ihre geheimen Wünsche erfüllt haben möchten.‹ Ich weiß, daß ich noch ein Dutzend weiterer solcher Erwähnungen finden werde.« Schließlich ließ ich den Mann in Frieden.
Ich hatte, was ich wollte. Ich wußte, daß das Ding einmal gelebt hatte. Es war voller Rachsucht! Es war ein Gespenst.
Und ich spürte, ich hatte den Beweis dafür in alldem, in allem, was ich je gewußt hatte, und während ich vom Haus des alten Mannes allein bergauf ging, wiederholte ich diese Details immer wieder bei mir und dachte: Was bedeutet es, daß dieser Teufel sich an uns gehängt hat? Daß er Fleisch sein will? Was bedeutet das? Aber vor allem: Wie kann ich seinen Namen benutzen, um ihn zu vernichten? Als ich in mein Zimmer kam, war Mary Beth schon da; sie schlief auf der Couch, und Lasher stand neben ihr. Er trug sein uraltes Gewand aus Rauhleder und hatte ziemlich langes Haar. So hatte ich ihn seit Jahren nicht gesehen. Er lächelte mich an. Für einen Augenblick war ich so überwältigt von seiner lebendigen Klarheit und seiner Schönheit, daß ich ihn nur anstarrte. Er liebte das; es war, als gäbe ich ihm Wasser zu trinken, wissen Sie. Und er wurde heller und noch klarer.
»Du glaubst, du weißt es, aber du weißt gar nichts«, sagte er, und seine Lippen bewegten sich. »Und ich erinnere dich noch einmal daran, daß die Zukunft alles ist.«
»Du bist kein großer Geist«, sagte ich. »Du bist kein großes Geheimnis. Das ist es, was ich meiner Familie beibringen muß.«
»Dann bringst du ihnen eine Lüge bei. Ihre Zukunft liegt in meinen Händen, und meine Zukunft ist ihre. Das ist deine Trumpfkarte. Zeig ausnahmsweise einmal Geistesgegenwart bei all dem, was du gelernt hast.«
Ich antwortete nicht. Es erstaunte mich, daß das Ding so lange seine sichtbare Gestalt bewahren konnte.
»Ein Heiliger, der sich gegen Gott gewandt hat?« fragte ich schließlich.
»Verhöhne mich nicht mit dieser albernen Folklore, mit diesem Unfug. Glaubst du, ich war je einer von euch? Du bist verrückt, wenn du das annimmst. Wenn ich wiederkomme, werde ich…« Er brach ab, ganz offensichtlich den Tränen nahe. Dann sagte er mit kindlicher Schnelligkeit: »Julien, ich brauche dich. Das Kind in Mary Beths Leib, das ist keine Hexe, sondern ein schwachsinniges Mädchen mit dem gleichen Gebrechen wie Katherine, deine Schwester, und auch wie Marguerite, deine Mutter. Du mußt die Hexe mit deiner Tochter zeugen.«
»Damit also kann ich dir einen Handel anbieten«, sagte ich seufzend. »Du willst, daß ich mich mit meiner eigenen Tochter paare.«
Aber jetzt hatte er sich erschöpft. Er verblaßte. Mary Beth lag auf der Couch und schlief, üppig und still, mit Decken zugedeckt, ihr dunkles Haar glatt und glänzend im Schein des kleinen Feuers.
»Wird sie dieses Kind zur Welt bringen?«
»Ja. Laß dir
Weitere Kostenlose Bücher