Tanz der Hexen
alles.
»Stella, was soll das bedeuten? Wovon redet sie?«
»Sie hat gewagt, dir so etwas zu sagen? Sie wußte, daß du krank bist. Sie wußte, daß du und Mutter gestritten habt.« Stella hatte Tränen in den Augen. »Es betrifft uns gar nicht. Es sind bloß diese Fontrevault-Mayfairs mit ihrem Wahnsinn. Du weißt schon, die Bande aus der Amelia Street. Diese Zombies.«
Natürlich wußte ich, wen sie meinte – die Fontrevault-Mayfairs waren die Nachkommen meines Cousins Augustin, dem ich mit gerade fünfzehn Jahren durch einen Pistolenschuß das Leben genommen hatte. Wir besuchten ihre Kranken. Wir halfen ihnen, ihre Toten zu begraben. Das taten sie bei uns auch, aber im Laufe der Jahre hatte sich das Verhältnis kaum gebessert.
Einige von ihnen – der alte Tobias und sein Sohn Walker, glaube ich – hatten sich ein schönes Haus an der St. Charles Avenue gebaut, in der Amelia Street, nur ungefähr fünfzehn Straßen von uns entfernt, und ich hatte die Bauarbeiten mit Interesse verfolgt. Eine ganze Meute von ihnen wohnte da – alte Weiber und alte Männer, die mich allesamt persönlich verabscheuten. Tobias Mayfair war ein schwachsinniger alter Trottel, der genau wie ich zu lange gelebt hatte; er war der bösartigste Mensch, den ich je gekannt habe, ein Mann, der mir sein Leben lang die Schuld an allem gab.
Die anderen waren gar nicht so übel. Natürlich waren sie reich, denn sie waren an den Unternehmungen der Familie beteiligt, ohne indessen unmittelbar auf uns angewiesen zu sein. Und Mary Beth mit ihren großen Familienfesten hatte sie immer wieder zu uns eingeladen, die jüngeren vor allem. Stets hatte es auch vereinzelte mondsüchtige Cousins gegeben, die ihre Cousinen von der anderen Seite der Demarkationslinie – oder was immer es war – geheiratet hatten. Tobias bezeichnete diese Vermählungen in seinem Haß als Hochzeitstänze auf Augustins Grab, und jetzt, da bekannt war, daß Mary Beth alle Verwandten wieder im Schoß der Familie sammeln wollte, stieß Tobias angeblich Flüche aus.
Ich könnte Ihnen viele unterhaltsame Geschichten über ihn und seine diversen Versuche, mich umzubringen, erzählen. Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Ich wollte wissen, wovon Stella da redete, und was Carlotta gemeint hatte. Was sollte all das bedeuten?
»Was haben Augustins Kinder jetzt schon wieder angestellt?« fragte ich, denn so nannte ich sie immer nur, die ganze verrückte Bande.
»Rapunzel, Rapunzel«, sagte Stella. »Das ist es. Laß dein Haar herunter – oder verfaule in deiner Dachstube in Ewigkeit.«
Sie sang die Worte regelrecht.
»Es ist Cousine Evelyn, ich meine, du liebe Güte, und alle sagen, sie ist Cortlands Tochter.«
»Wie bitte? Von was redest du eigentlich? Von meinem Sohn Cortland? Du willst sagen, er hat einer ihrer Frauen ein Kind gemacht? Von diesen Mayfairs?«
»Vor dreizehn Jahren hat Cortland sich betrunken nach Fontrevault geschlichen und Barbara Ann ein Kind gemacht, um genau zu sein. Du weißt doch, Walkers Tochter. Das Kind war Evelyn, du erinnerst dich. Barbara Ann starb, als Evelyn geboren wurde. Na, und jetzt rate mal, mein Allerliebster. Evelyn ist eine Hexe, eine so mächtige Hexe, wie es nur je eine gab, und sie kann in die Zukunft schauen.«
»Wer sagt das?«
»Alle. Sie hat den sechsten Finger. Sie trägt das Mal, mein Allerliebster, und sie ist absolut und unvorstellbar wunderlich. Und Tobias hat sie eingeschlossen, aus Angst, daß Mutter sie umbringen könnte! Stell dir das vor. Aus Angst, du und Mutter, ihr könntet ihr etwas antun! Dabei bist du doch der Großvater des Mädchens! Cortland hat es mir gestanden, auch wenn ich ihm schwören mußte, es dir niemals zu erzählen. ›Du weißt, wie Vater die Leute in Fontrevault haßt‹, sagte er. ›Und was kann ich dem Kind schon nützen, wenn die ganze Familie mich haßt?‹«
»Moment mal, Kind. Langsam. Willst du mir sagen, daß Cortland diese beschränkte Barbara Ann mißbraucht hat, die im Kindbett starb, und daß er das Baby im Stich gelassen hat?«
»Mißbraucht hat er sie überhaupt nicht«, sagte Stella. »Sie war ja auch so ein Dachkammerfall. Ich bezweifle, daß sie je ein anderes menschliches Wesen zu Gesicht bekommen hatte, bevor Cortland sie besuchte. Ich weiß nicht genau, was sich da zugetragen hat. Ich war ja selbst gerade erst auf die Welt gekommen, weißt du. Aber du brauchst jetzt nicht wütend auf Cortland zu werden. Von all deinen Söhnen verehrt Cortland dich am meisten. Er wird dann
Weitere Kostenlose Bücher