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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vorderfront waren Säulen, unten dorisch, oben korinthisch, und eine große Alkoventür. Weiter hinten, zu beiden Seiten, sprangen achteckige Flügel vor, und überall waren runde Fenster im italienischen Stil. Es sah massig und klobig und doch anmutig aus. Gar kein so übles Haus, wenn auch nicht so rein und so alt wie unseres.
    Und sofort entdeckte ich, was Stella mir zeigte: das Dachfenster.
    Es war ein doppeltes Mansardenfenster, in der Mitte über der Veranda, und ich schwöre, ich fühlte den Pulsschlag des Mädchens, das da durch die Scheibe zu mir herunterstarrte. Die blasse Fläche eines Gesichts dort oben, ein verschwommener Haarschopf. Und dann nichts als der gleißende Reflex der Sonne in der Fensterscheibe.
    »Oh, da ist sie, die arme liebe Rapunzel«, krähte Stella und winkte heftig, obwohl das Mädchen verschwunden war. »Oh, Evie, wir sind gekommen, um dich zu erretten.«
    Dann kam Tobias auf die Veranda gestürmt, und bei ihm war sein Sohn Oliver, Walkers jüngerer Bruder und ein sabbelnder Idiot, wenn es je einen gegeben hat.
    »Wieso hast du das Kind auf den Dachboden gesperrt?« fragte ich. »Und sie ist Cortlands Tochter, oder ist es eine bodenlose Lüge, die du dir da ausgedacht hast, um meine Familie in Unruhe und Bestürzung zu bringen?«
    »Du elender Halunke«, erklärte Tobias; er trat vor und hätte oben an der Treppe beinahe das Gleichgewicht verloren. »Komm ja nicht in die Nähe meiner Haustür. Verschwinde von meinem Grundstück. Du Sproß des Satans. Ja, es war Cortland, der meine Barbara Ann ruiniert hat. Sie starb in meinen Armen. Dieses Kind da ist eine Hexe, wie du keine zweite finden wirst, und solange ich noch einen Atemzug tue, wird sie keine neuen Hexen machen aus sich und aus dir und aus all dem, was da vor dir war.«
    Das war zweimal mehr, als ich hören mußte. Ich ging geradewegs die Treppe hinauf, und die beiden alten Trottel wollten sich auf mich stürzen.
    Ich blieb stehen und erhob die Stimme.
    »Komm jetzt, mein Lasher«, rief ich, »und mache mir den Weg frei!«
    Beide Männer wichen entsetzt zurück. Stella schrie verblüfft auf. Aber der Wind kam, wie er immer gekommen war, wenn ich ihn am nötigsten brauchte, wenn meine verwundete alte Seele und mein Stolz ihn am nötigsten brauchten, und wenn ich mir seiner am wenigsten sicher war. Er fegte durch den Garten und die Veranda herauf und drückte die Tür mit lautem Rattern beiseite.
    »Ich danke dir, Geist«, flüsterte ich, »daß du mir das Gesicht gerettet hast.«
    Ich liebe dich, Julien. Aber es ist mein Wunsch, daß du dieses Haus und alle, die darin sind, in Ruhe läßt.
    »Das kann ich nicht«, sagte ich. Ich lief ins Haus, durch einen langen, kühlen, dunklen Korridor zwischen Reihen von Türen, und Stella wieselte auf den Dielen neben mir her. Die alten Männer kamen hinterher und schrien, um ihre Frauen zu alarmieren, und überall aus den Türen traten zahlreiche Mayfairs heraus, ein wahres Parlament der Eulen, und sie kreischten und schrien. Hinter mir peitschte der Wind die Eichen. Wolken von Blättern wirbelten vor mir durch den Korridor.
    Ein paar dieser Gesichter hatte ich schon gesehen; alle kannte ich auf diese oder jene Art. Und während sie herausspähten, versuchte Tobias noch einmal, mich aufzuhalten.
    »Geh mir aus dem Weg«, befahl ich und baute mich am Fuße der dunklen Eichentreppe auf, und dann begann ich hinaufzusteigen.
    Ich fühlte, wie der Geist sich um mich sammelte. Ich drängte weiter, atemlos, bis ich den oberen Stock erreicht hatte. »Wo ist die Treppe zum Dachboden?«
    »Da, da!« rief Stella und führte mich durch die Flügeltür zum Ende des Korridors, wo eine kleinere Treppe durch einen schmalen Schacht hinauf zu einer Tür führte.
    »Evelyn, komm herunter, mein Kind!« rief ich. »Evelyn, komm herunter. Ich kann diese lange Treppe nicht hinaufsteigen. Komm herunter, mein Mädchen. Ich bin dein Großvater, und ich will dich holen.«
    Im Haus war es still. Alle drängten sich in der Tür zum Gang und starrten herauf, so viele ovale, blasse Gesichter mit offenen Mündern und großen, hohlen Augen.
    »Sie wird nicht auf dich hören«, rief eine der Frauen. »Sie hört nie auf jemanden.«
    »Sie hört nämlich nichts«, schrie eine andere.
    »Und kann auch nicht sprechen!«
    »Schau, Julien, die Tür ist von dieser Seite abgeschlossen«, rief Stella. »Und der Schlüssel steckt.«
    »Oh, ihr bösartigen alten Narren!« rief ich. Ich schloß die Augen, sammelte alle meine Kräfte

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