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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nur wütend auf mich werden, und so geht’s rund. Vergiß es wieder.«
    »Ich soll es vergessen? Ich habe eine Enkelin, die fünfzehn Straßen von hier in einer Dachkammer gefangengehalten wird? Den Teufel werde ich tun und das vergessen! Evelyn heißt sie? Und sie ist die Tochter dieser armen Barbara Ann? Das willst du mir sagen? Und dieses Monstrum Tobias hat sie eingesperrt? Kein Wunder, daß Carlotta außer sich ist. Sie hat recht! Die ganze Geschichte ist abscheulich!«
    Stella sprang von ihrem Stuhl auf und klatschte in die Hände. »Mutter, Mutter!« rief sie. »Onkel Julien ist wieder ganz gesund. Er hat keinen Schlaganfall mehr. Er ist wieder der Alte! Wir gehen zur Amelia Street!«
    Natürlich kam Mary Beth hereingestürzt. »Hat Carlotta dir von diesem Mädchen erzählt?« fragte sie. »Misch dich da nicht ein.«
    »Misch dich da nicht ein!« Ich raste vor Wut.
    »Oh, Mutter, wirklich, du bist schlimmer als Königin Elisabeth!« rief Stella. »Das Mädchen kann uns doch nichts tun! Sie ist doch keine Maria Stuart!«
    »Das habe ich auch nicht behauptet, Stella«, sagte Mary Beth ungerührt und ruhig wie stets. »Ich habe keine Angst vor dem Kind, ganz gleich, wie mächtig es ist. Ich habe nur Mitleid.« Sie ragte wie ein Turm vor mir auf. Ich saß auf der Couch, entschlossen, etwas zu unternehmen, aber zugleich erpicht darauf, vorher noch mehr zu erfahren.
    »Carlotta hat das alles in Gang gebracht, als sie dort zu Besuch war. Das Mädchen versteckt sich auf dem Dachboden.«
    »Tut sie nicht! Sie ist eingesperrt!«
    »Stella, halt den Mund!«
    »Mutter, sie ist im Leben noch nicht aus dem Haus gekommen, genau wie Barbara Ann! Und aus dem gleichen Grund. Es gibt massenhaft Hexentalente in dieser Familie, Onkel Julien. Barbara Ann war irgendwie verrückt, sagen sie, aber dieses Mädchen hat auch Cortlands Blut in den Adern, und sie kann die Zukunft sehen.«
    »Niemand kann wirklich die Zukunft sehen«, erklärte Mary Beth. »Und niemand sollte sich wünschen, es zu können. Julien, das Mädchen ist wunderlich. Sie ist schüchtern. Sie hört Stimmen, sieht Gespenster. Das ist nichts Neues. Sie ist nur verdrehter und eigenbrötlerischer als die meisten, weil sie von alten Leuten großgezogen wurde.«
    »Cortland – wie konnte er es wagen, mir das nicht zu erzählen?« sagte ich.
    »Er hat es nicht gewagt«, sagte Mary Beth. »Er wollte dir nicht weh tun.«
    »Es kümmert ihn nicht«, sagte ich. »Verdammt soll er sein – seine kleine Tochter bei dieser Verwandtschaft zu lassen! Und Carlotta ist diejenige, die dort hinging, in dieses Haus, unter Tobias’ Dach, zu Tobias, der mich immer einen Mörder genannt hat!«
    »Onkel Julien, du bist ein Mörder«, bemerkte Stella.
    »Halt den Mund, ein für allemal«, sagte Mary Beth.
    Stella schmollte und war zumindest für den Augenblick besiegt.
    »Carlotta ist hingegangen, um das Mädchen zu fragen, was sie sieht, und um sich weissagen zu lassen – das gefährlichste Spiel von allen. Ich habe es ihr verboten, aber sie ist trotzdem hingegangen. Sie hatte gehört, wie wir sagten, daß dieses Mädchen mehr Macht habe als irgend jemand sonst in unserer Familie.«
    »Das behauptet sich leicht«, antwortete ich seufzend. »Mehr Macht als irgend jemand sonst. Es gab eine Zeit, da habe ich es selbst behauptet, in jener längst vergangenen Welt der Pferde und Kutschen, der Sklaven und des friedlichen Landlebens. Mehr Macht!«
    »Das Mädchen kann ebenso wenig in die Zukunft schauen wie sonst irgend jemand«, erklärte Mary Beth und setzte sich neben mich. »Carlotta ist dort hingegangen, um Bestätigung dafür zu finden, daß wir alle verflucht und dem Untergang geweiht sind. Das ist ihre Leier von früh bis spät.«
    »Sie sieht Wahrscheinlichkeiten wie wir alle«, widersprach Stella mit melodramatischem Seufzen. »Sie hat starke Vorahnungen.«
    »Und was ist passiert?«
    »Carlotta stieg zum Dachboden hinauf, um Evelyn zu besuchen. Sie war schon öfter da. Sie tat ihr schön, lockte sie aus sich heraus, und das Mädchen, das fast nie spricht, manchmal jahrelang kein einziges Wort, tat plötzlich irgendeine schreckliche Weissagung.«
    »Was denn für eine?«
    »Daß wir alle vom Antlitz der Erde verschwinden würden«, sagte Stella. »Geschlagen von dem, der uns emporgebracht und getragen hat.«
    Ich hob den Kopf und sah Mary Beth an.
    »Julien, da steckt nichts dahinter.«
    »Hast du deshalb meine Bücher verbrannt? Hast du deshalb all das Wissen vernichtet, das ich

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