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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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die Autos, die dort vorüberschössen. Er roch nach Zigaretten.
    Sie ließ sich von ihm sanft durch die Tür ziehen, in das warme, alles umhüllende Licht, wo die Leute tanzten. Jetzt durchströmten sie die Vibrationen von Kopf bis Fuß. Sie hätte vollständig erschlaffen und auf dem Boden zusammensacken können, und ewig hätte sie so dort liegen bleiben und lauschen und mitsingen können, und dabei hätte sie das Glen gesehen.
    Entweder das – oder sie mußte sich zusammenreißen und tanzen und tanzen und tanzen.
    Und das taten sie; der Mann hatte angefangen, mit ihr zu tanzen, er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt und war dicht an sie herangekommen. Er sagte etwas. Sie hörte es nicht. Sie glaubte, er sagte: »Du riechst gut.«
    Sie schloß die Augen und drehte sich im Kreis, sie stützte sich auf seinen Arm und hielt sich an ihm fest, schwankte von einer Seite zur anderen. Der Mann lachte. In einem kurzen Aufblitzen sah sie sein Gesicht, sah seinen Mund, der sich wieder bewegte und Worte formte. Die Musik donnerte laut. Als sie die Augen schloß, war sie wieder bei den anderen und tanzte in den Kreisen, rundherum, vom Steinkreis nach außen – so viele Kreise, daß diejenigen im Inneren überhaupt nicht bis zu denen im Äußeren sehen konnten. Hunderte und Aberhunderte, die tanzten zu den Klängen von Dudelsack und Harfe.
    Oh, aber das waren die ersten Tage, bevor die Soldaten kamen.
    Später, im Glen, tanzten alle miteinander, die Großen und die Kleinen, die Armen und die Reichen, die Menschen und die anderen. Sie waren zusammengekommen, um den Taltos zu machen. Viele würden sterben, aber wenn der Taltos gemacht würde… Wenn es irgendwie zwei gäbe… Sie hielt inne und preßte die Hände an die Ohren. Sie mußte gehen. Vater. Ich komme. Ich werde Michael für Mutter finden. Mutter, ich habe es nicht vergessen. Ich bin nicht kindisch. Ihr seid alle Einfaltspinsel, Kinder! Helft mir.
    Der Mann zog sie aus dem Gleichgewicht, aber dann begriff sie, daß er sie nur dazu bringen wollte, weiterzutanzen. Er drehte sie, verrenkte sie. Sie fing wieder an, ließ sich verzückt hineingleiten, wiegte sich vor und zurück, immer heftiger, daß ihr Haar hin- und herschwang.
    Ja, sie liebte das. Sie liebte diese Musik; sie liebte ihren beharrlichen Pulsschlag, die göttliche Monotonie, das Summen in allen ihren Gliedern. Sie schien auf ihren Trommelfellen zu pochen und in ihrem Herzen, sie zu gefrieren und zu verzehren.
    Wie im Glen, tanzten auch die Menschen hier – alte Frauen, junge Frauen, Knaben und Männer. Auch die kleinen Kinder. Schau sie an. Aber diese Leute konnten keinen Taltos machen. Geh zu Vater. Geh zu…
    »Komm schon, Honeybaby!«
    Irgend etwas… ein Ziel. Fort von hier. Aber sie konnte nicht denken, solange die Musik spielte, und es war auch nicht wichtig.
    Ja, sollte er sie nur herumwirbeln. Tanzen. Sie lachte entzückt. Wie gut das war! Jetzt war die Zeit des Tanzens. Hoo! Tanzen. Vater würde das verstehen.

 
29

    Es war vier Uhr früh. Sie waren im Doppelsalon versammelt – Mona, Lauren, Lily und Fielding. Randall war auch da. Bald würde Paige Mayfair aus New York kommen. Ihr Flugzeug war planmäßig gelandet. Ryan war zum Flughafen gefahren, um sie abzuholen.
    Sie saßen ruhig da und warteten. Niemand glaubt daran, dachte Mona. Aber wir müssen es versuchen. Was sind wir, wenn wir es nicht versuchen?
    Vor einiger Zeit war Tante Bea aus der Amelia Street gekommen und hatte ein Mitternachtsbuffet aufgebaut. Und sie hatte dicke Votivkerzen auf die beiden Kaminsimse gestellt. Sie waren erst halb abgebrannt, und das Feuer in den Kaminen spendete immer noch ein warmes, tanzendes Licht.
    Oben unterhielten sich leise die Krankenschwestern, die in Bereitschaft waren; sie hatten sich in Tante Vivians Zimmer eine Art Stationszimmer eingerichtet, mit Kaffee und Krankenakten. Tante Vivian war freundlicherweise in die Amelia Street umgezogen; sie hatte sich der entschlossenen Beschlagnahme durch die uralte Evelyn gefügt, die den ganzen Abend über gestikulierend und murmelnd auf sie eingewirkt hatte – obgleich eigentlich keiner mit Sicherheit hätte sagen können, daß die uralte Evelyn wußte, wer Vivian war.
    »Zwei alte Damen, die füreinander geschaffen sind«, sagte Tante Bea. »Wir sollten sie Tweedledee und Tweedledum nennen. Die uralte Evelyn schweigt wieder. Ich wette, sie ist Tweedledum.«
    Überall im Haus in den anderen Zimmern schliefen Verwandte, selbst oben im zweiten Stock, in

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