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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Behauptungen bestätigt. Er ist dein Bruder. Er kommt von deinem Vater. Jetzt wissen wir, daß es wahr ist, was er sagt.«
    Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet. Ich erkannte, daß ich mir gewünscht hatte, der Lüge überführt zu werden; ich hatte hören wollen, daß dies lauter teuflische Hirngespinste seien und daß ich mir solche Gedanken aus dem Kopf schlagen müsse.
    »Bring den jungen Sohn des Earl zu mir«, sagte der Pater Superior und schickte den verblüfften Gehilfen hinaus.
    Ich war ein in die Enge getriebenes Tier. Unversehens schaute ich zum Fenster und suchte nach einem Fluchtweg.
    Ich hatte entsetzliche Angst, daß der Mann, der nun hereinkommen würde, der Holländer sein könnte. Ich schloß die Augen und versuchte meine eigene Seele zu fühlen. Wer wagte es, mir zu sagen, ich hätte keine Seele?
    Ein hochgewachsener, rothaariger Mann kam herein, dessen wildes, rauhes Gewand ihn als Schotten zu erkennen gab. Er trug den karierten Tartan, einen struppigen, ungestutzten Pelz und plumpe Lederschuhe, und er sah aus wie ein Wilder aus den Wäldern, verglichen mit den zivilisierten Herren in Italien, die in Kniehosen und hübschen weitärmeligen Hemden herumliefen. Sein Haar hatte braune Strähnen, und seine Augen waren dunkel, und als ich ihn anschaute, wußte ich, daß ich ihn kannte, aber ich konnte mich nicht erinnern, woher.
    Dann sah ich in meiner Erinnerung… die Männer vor dem Kaminfeuer. Das brennende Julscheit. Der Laird von Donnelaith, wie er befahl: »Verbrennt ihn!« Und diese Männer, wie sie sich anschickten, dem Befehl zu folgen. Dieser hier gehörte zum Clan, auch wenn er zu jung war, um damals dabei gewesen zu sein.
    »Ashlar!« flüsterte er. »Wir sind gekommen, um dich zu holen. Wir brauchen dich. Unser Vater ist jetzt der Laird, und er will, daß du nach Hause zurückkehrst.«
    Und dann sank er auf die Knie und küßte meine Hand.
    »Tu das nicht«, sagte ich sanft. »Ich bin nur ein Werkzeug des Herrn. Bitte umarme mich von Mann zu Mann, wenn du willst, und dann sag mir, was du auf dem Herzen hast.«
    »Ich bin dein Bruder«, sagte er und umarmte mich gehorsam. »Ashlar, unsere Kathedrale steht noch, und unser Tal existiert durch Gottes Gnade noch immer. Aber vielleicht nicht mehr lange. Die Ketzer haben gedroht, noch vor Weihnachten über uns herzufallen; sie wollen unsere Riten zerstören, denn sie nennen uns Heiden und Hexer und Lügner. Dabei sind sie es, die lügen. Du mußt uns helfen, für den wahren Glauben zu kämpfen. England und Schottland sind von Blut getränkt.«
    Lange schaute ich ihn an. Dann schaute ich unseren geistlichen Leiter an, den Pater Superior mit seinem eifrig erregten Gesicht. Ich schaute den Gehilfen an, der von alldem so hingerissen aussah, als wäre ich ein Heiliger. Die Ketzer taten eben dies tatsächlich: Sie schmähten uns mit Begriffen, die besser auf sie selbst gepaßt hätten.
    Ich dachte an den Holländer dort draußen, der wartete und mich beobachtete. Vielleicht war das hier ein Schwindel von ihm. Aber ich wußte es besser. Der Mann war ein Sohn meines Vaters. Ich sah die Ähnlichkeit. Und alles übrige war wahr.
    »Komm mit mir«, sagte mein Bruder. »Unser Vater wartet. Du bist die Antwort auf unsere Gebete. Du bist der Heilige, den Gott geschickt hat, damit er uns führe. Wir können es nicht länger hinausschieben. Wir müssen gehen.«
    Mein Geist spielte eine seltsame Posse mit mir. Er sagte: Ein Teil davon ist wahr und ein Teil nicht. Aber wenn du den Schrecken nimmst, dann mußt du auch die Illusion nehmen. Die Wahrheitstreue des einen hängt vom anderen ab. Ja, die Geburt ist geschehen. Und du weißt, daß deine Mutter eine Hexe war! Du ahnst sogar, wer diese Hexe gewesen sein könnte, ja, du weißt es. Und daher bist du der Heilige, und deine Stunde ist gekommen.
    Kurzum, ich wußte genau, daß das, was vor mir lag, wahrscheinlich eine Mischung aus Phantasie und Wahrheit war – ein Gemisch aus Legenden und verwirrenden Tatsachen, und in meiner Verzweiflung, erfüllt vom Grauen vor dem, was ich nicht leugnen konnte, akzeptierte ich alles auf einen Streich. Man könnte sagen, ich schluckte die Phantasie. Und nichts konnte mich mehr hindern, nach Hause zu gehen.
    »Ich komme mit dir, Bruder«, sagte ich. Und bevor irgendein Gedanke an das Gegenteil Gestalt annehmen konnte, tauchte ich ein in das Gefühl meiner Mission; ich ließ mich davon verführen und überwältigen.
    Die ganze Nacht betete ich nur um Mut: Sollte es in

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