Tanz der Hexen
nur auf mich gewartet hatte. Es war, als ob die schrundigen Berge zu mir sagten: »Ah, jetzt haben wir dich. Du hattest deine Chance, und jetzt ist sie dahin.«
Der Mann aus Amsterdam ging mir nicht aus dem Kopf. Aber ich hatte ein Ziel. Ich würde Donnelaith erreichen und von meinem Vater die Wahrheit fordern – nicht Legenden, nicht Gebete, sondern den Grund für die Angst, die ich bei meiner Mutter und bei anderen gesehen hatte. Die ganze Geschichte.
36
Lashers Erzählung wird fortgesetzt
Das Tal wurde belagert. Der Hauptpaß war gesperrt. Wir kamen durch den geheimen Gang, der in diesen zwanzig Jahren enger und tückischer geworden zu sein schien. An manchen Stellen dachte ich, er werde zu steil, zu dunkel, zu überwuchert, und wir müßten ganz sicher umkehren.
Aber ganz plötzlich erreichten wir das Ende – und da lag Donnelaith in all seiner Pracht unter der weihnachtlichen Schneedecke im tapferen Licht einer ersterbenden Wintersonne.
Tausende von Gläubigen hatten Schutz im Tal gesucht. Sie waren vor den Religionskriegen aus den Städten der Umgebung geflüchtet – keine Menschenmasse, wie man sie in Rom oder Paris sehen konnte, aber für dieses einsame, schöne Land eine große Zahl von Menschen. Planlos hatte man Schutzdächer an die Mauern der kleinen Stadt und an die Stützpfeiler der Kathedrale gebaut, und der Talgrund war von Hütten übersät. Barrikaden versperrten den Hauptpaß.
Der Himmel verdunkelte sich, und die Sonne flammte orangegelb in den Wolkenbergen. In der Kathedrale brannten schon die Lichter. Die Luft war winterlich, aber es fror nicht, und die prachtvollen Fenster leuchteten mit wildem, schönem Glanz durch die frühe Dunkelheit. Das Wasser des Sees hielt den letzten Lichtschimmer eifersüchtig fest, und wir sahen bewaffnete Highlander, die in der Dämmerung am Ufer patrouillierten.
»Ich möchte zuerst beten«, sagte ich zu meinem Bruder.
»Nein«, sagte er, »wir müssen jetzt zur Burg hinauf. Ashlar, es ist ein Wunder, daß wir nicht schon niedergebrannt sind. Heute ist Heiliger Abend. Sie haben geschworen, genau heute abend anzugreifen. Es gibt Fraktionen bei uns, die protestantisch werden möchten, weil sie glauben, daß Calvin und Knox recht tun. Es gibt die Alten, die Abergläubischen. Unsere Leute könnten auf der Stelle ihren eigenen Krieg anfangen.«
»Also gut«, sagte ich, aber ich lechzte danach, die Kathedrale zu sehen, lechzte nach der Erinnerung an jenes erste Weihnachtsfest, als ich zur Krippe gegangen war und inmitten von köstlich duftendem Heu und Wintergrün das Kind in der Krippe gesehen hatte, wo Ochse, Kuh und Esel angebunden gewesen waren. Ah, Heiligabend. Das bedeutete, daß das Kind noch nicht in die Krippe gelegt worden war. Ich war rechtzeitig gekommen, um es zu sehen. Und wider Willen dachte ich trotz bitterer Kälte und rauher Dunkelheit: Hier bin ich daheim.
Die Burg war mehr oder weniger so, wie ich sie in Erinnerung hatte: ein großer, gleichförmiger, freudloser Steinhaufen, sicher ebenso häßlich wie nur irgendein Bauwerk der Medici oder sonst eines, das ich auf meiner Reise durch das vom Krieg zerrissene Europa gesehen hatte. Der bloße Anblick erfüllte mich plötzlich mit Angst. Auf der Zugbrücke drehte ich mich um und schaute ins Tal hinunter, auf das Städtchen, das kleiner und ärmlicher war als Assisi. Das alles wirkte plötzlich so roh und beängstigend – ein Land voll zottiger, barscher, hellhäutiger Menschen ohne Zivilisation, ohne irgend etwas von dem, was ich verstehen konnte.
War es blanke Feigheit, was ich da empfand? Ich wollte in Santa Maria dei Fiori in Florenz sein und den Chorälen oder dem Hochamt lauschen. Ich wollte in Assisi sein und die Weihnachtspilger begrüßen. Zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren war ich nicht dort!
Je dunkler es wurde, desto bedrohlicher wirkten die Menschen in der Stadt.
Einen kurzen Augenblick lang glaubte ich zwei zwergenhafte Kreaturen zu sehen, winzige Wesen, die viel zu häßlich und mißgestaltet waren, als daß sie Kinder hätten sein können, viel zu flink auch, wie sie über den Burghof huschten, über die Zugbrücke hinaus und davon.
Aber es war so schnell gegangen, daß ich in der Dunkelheit nicht sicher war, ob ich da wirklich etwas gesehen hatte.
Ich warf einen letzten Blick ins Tal. Ah, die schöne Kathedrale! In ihrem großartigen gotischen Hochmut war sie anmutiger noch als die Kirchen von Florenz. Ihre Bögen forderten den Himmel heraus. Ihre Fenster waren
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