Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
waren die Gärtner für diese Art von Arbeit zuständig. Und jetzt würde er diesen Leichnam in der pechschwarzen Finsternis begraben.
    Die Erde unter dem Baum war vom Frühlingsregen aufgeweicht, und es war nicht schwer, ein ziemlich tiefes Grab auszuheben. Nur die Wurzeln kamen ihm in die Quere. Er mußte weiter weg vom Stamm graben, als er vorgehabt hatte, aber schließlich hatte er eine schmale, ungleichmäßige Grube ausgehoben, die keine Ähnlichkeit mit den rechteckigen Gräbern in Horrorfilmen und bei modernen Beerdigungen hatte. Er ließ den Leichnam hineingleiten, und dann auch das blutgetränkte Hemdbündel mit dem Kopf. In der feuchten Hitze des kommenden Sommers würde das Zeug im Handumdrehen verwesen. Es hatte schon angefangen zu regnen.
    Gesegnet sei der Regen. Er schaute in das dunkle Loch hinunter. Von der Leiche konnte er nur noch eine schlaffe weiße Hand sehen. Sie sah nicht aus wie eine Menschenhand. Die Finger waren zu lang, die Knöchel zu dick. Eher wie aus Wachs.
    Er schaute hinauf zu den dunklen Ästen der Bäume. Es regnete jetzt richtig, aber bis jetzt drangen nur ein paar Tropfen durch das dichte Blätterdach.
    Im Garten war es kalt und still, und niemand war zu sehen. Hinten im Gästehaus brannte kein Licht, und auch von den Nachbarn hinter der Mauer kam kein Laut.
    Noch einmal schaute er in die bröckelnde, formlose Grube. Die Hand war kleiner, dünner geworden. Sie schien an Substanz verloren zu haben; die Finger fielen zusammen, verschmolzen miteinander und verloren ihre eindeutige Form. Es war kaum noch eine Hand.
    Aber da glomm etwas im Dunkeln – ein winziges Glühwürmchen aus grünem Licht.
    Er fiel auf die Knie und rutschte über den unebenen Rand des Loches nach vorn; seine linke Hand fuhr haltsuchend hinüber zur anderen Seite des Grabes, und mit der rechten langte er hinunter und tastete nach dem grünen, funkelnden Ding.
    Fast hätte er das Gleichgewicht verloren, aber dann fühlte er die harten Kanten des Smaragds.
    Er riß die Kette aus dem blutig verknüllten Stoff. Sie kam aus der Dunkelheit herauf, ruhte auf seiner erdverschmierten Handfläche.
    »Hab’ ich dich!« flüsterte er und starrte das Ding an.
    Das Wesen hatte es um den Hals getragen, unter seinen Kleidern. Er hielt es hoch, drehte und wendete es, bis das Licht der Sterne es gefunden hatte, das Juwel der Juwelen. Keine große Empfindung regte sich in ihm. Nichts – nur die traurige, grimmige Genugtuung darüber, daß er den Mayfair-Smaragd gefunden und daß er ihn der Vergessenheit entrissen hatte, aus dem verborgenen, ungekennzeichneten Grab des einen, der schließlich verloren hatte.
    Verloren.
    Er konnte nur verschwommen sehen. Aber es war so göttlich dunkel hier draußen, und so still. Er raffte die goldene Kette zusammen, wie man es wohl mit einem Rosenkranz tut, und schob sie mitsamt dem Edelstein in die Hosentasche.
    Er schloß die Augen. Wieder hätte er beinahe das Gleichgewicht verloren und wäre ins Grab gerutscht. Aber dann erschien der Garten vor ihm, glitzernd im Zwielicht. Die Hand da unten war überhaupt nicht mehr zu sehen. Vielleicht hatten die herabfallenden Erdklumpen sie bedeckt, wie sie bald alles bedecken würden.
    Von irgendwoher kam ein Geräusch. Ein Tor vielleicht, das sich schloß. War jemand im Haus?
    Er mußte sich beeilen, ganz gleich, wie müde er war und wie träge und ruhig er sich fühlte.
    Rasch.
    Langsam schaufelte er die feuchte Erde in das Loch; es dauerte eine Viertelstunde oder mehr.
    Jetzt wisperte der Regen ringsumher und ließ die glänzenden Blätter der Kamelien und die Steinplatten des Weges leuchten.
    Er stand vor dem Grab und stützte sich auf die Schaufel, und laut sprach er eine Strophe aus Juliens Gedicht.
     
    Erschlagt das Fleisch, das ist nicht menschlich,
    Baut auf Waffen grausam roh,
    Denn sterben sie am Rand der Weisheit,
    Streben wohl gequälte Seelen nach dem Licht.
     
    Er sackte neben der Eiche zu Boden und schloß die Augen. Der Schmerz pochte dumpf in ihm, als habe er geduldig gewartet und als sei jetzt seine Zeit gekommen. Einen Augenblick lang bekam er keine Luft, doch dann ruhte er sich aus, und schließlich atmete er wieder regelmäßig und mühelos.
    So lag er da und schlief vielleicht, wenn man schlafen und zugleich wissen kann, was man getan hat. Träume standen bereit. Und von Augenblick zu Augenblick schien es, als werde er abschwenken und in die selige Finsternis hinuntertauchen, wo andere auf ihn warteten, so viele andere, die ihn

Weitere Kostenlose Bücher