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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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fragen. Ich habe dir noch nie eine so l che Frage gestellt, und ich glaube, ich könnte es auch jetzt nicht tun, wenn wir nicht…«
    »… am Telefon miteinander sprächen.«
    »Ja. Am Telefon.«
    Sie hatten diesen merkwürdigen Aspekt ihrer langen Ehe schon oft erörtert: daß ihre besten Gespräche am Telefon stattfanden, daß sie aus irgendeinem Grunde am Telefon g e duldiger miteinander umgingen und die Schlachten vermeiden konnten, die sie ausfochten, wenn sie zusammenwaren.
    »Die Frage ist folgende«, sagte Ryan auf seine gewohnt direkte Art. »Was, glaubst du, ist am Weihnachtstag in diesem Haus passiert? Was ist mit Rowan passiert? Hast du einen Verdacht? Irgendeinen Hinweis? Ahnungen?«
    Gifford war sprachlos. Es war nur zu wahr, daß Ryan ihr eine solche Frage im Leben noch nicht gestellt hatte. Ryan verwandte den größten Teil seiner Energie darauf, zu verhindern, daß Gifford Antworten auf schwierige Fragen suchte. Das hier war nicht nur noch nie dagewesen, es war auch erschreckend. Denn Gifford erkannte, daß sie dieser Situation nicht gewachsen war. Sie hatte keine Hexenantwort auf diese Frage. Sie dachte eine ganze Weile nach und lauschte auf das Knistern des Feuers und auf das sanfte Seufzen des Meeres draußen.
    Eine Reihe von Gedanken ging ihr ziellos durch den Kopf. Fast hätte sie sogar gesagt: »Frag Mona.« Aber sie fing sich gerade noch, voller Scham darüber, daß sie ihre Nichte zu so etwas hatte ermutigen wollen. Und ohne Einleitung, ohne jegliche Überlegung, sagte Gifford:
    »Der Mann ist durchgekommen am Weihnachtstag. Dieses Ding, dieser Geist – ich werde seinen Namen nicht nennen, denn du weißt, wie er heißt – ist in die Welt gekommen, und er hat Rowan etwas angetan. Das ist passiert. Der Mann ist nicht mehr in der First Street. Das wissen wir alle. Wir alle, die wir ihn schon gesehen haben, wissen, daß er nicht mehr da ist. Das Haus ist leer. Das Ding ist in der Welt. Es…« Ihre Worte, schnell, schrill, ein bißchen hysterisch, brachen ab, wie sie begonnen hatten. Lasher, dachte sie. Aber sie konnte es nicht aussprechen. Vor vielen, vielen Jahren hatte Tante Carlotta sie geschüttelt und gesagt: »Nie, nie, nie sprichst du diesen Namen aus, hörst du?«
    Und selbst jetzt, an diesem stillen, sicheren Ort, konnte sie den Namen nicht aussprechen. Etwas hinderte sie daran, fast so etwas wie eine Hand an der Kehle. Vielleicht hatte es etwas mit der speziellen Mischung aus Grausamkeit und Beschütze r tum zu tun, die Tante Carlotta ihr gegenüber immer gezeigt hatte. Im Bericht der Talamasca hieß es, Antha sei aus dem Dachbodenfenster gestoßen und das Auge sei ihr aus dem Kopf gerissen worden. Du lieber Gott! Carlotta hätte so etwas nicht tun können.
    Es wunderte sie nicht, daß ihr Mann zögerte, bevor er antwortete. In der Stille war sie selbst ganz überrascht. Das alles türmte sich bedrohlich vor ihr auf, und in solchen Augenblicken empfand sie auch die schreckliche Einsamkeit ihrer Ehe.
    »Du glaubst das wirklich, Gifford. Du, meine geliebte Gifford, glaubst das im tiefsten Grunde deines Herzens wahrhaftig.«
    Sie antwortete nicht. Sie konnte nicht. Sie fühlte sich besiegt. Es schien, als hätten sie ihr ganzes Leben lang gestritten. Würde es regnen, oder würde die Sonne scheinen? Würde Mona auf der St. Charles Avenue von einem Fremden vergewaltigt werden, wenn sie nachts dort allein herumspazierte? Würde die Einkommensteuer noch einmal steigen? Würde man Castro stürzen? Gab es Geister? Waren die Mayfairs Hexen? Konnte man wirklich mit den Toten sprechen? Warum benahmen die Toten sich so merkwürdig? Was, zum Teufel, wollten die Toten? Butter ist nicht ungesund, und dunkles Fleisch auch nicht. Trink deine Milch. Der Stoffwechsel von Erwachsenen kann Milch nicht richtig verdauen. Und so weiter und so fort, ohne Ende.
    »Ja, Ryan«, sagte sie traurig und beinahe beiläufig. »Ich gla u be es. Aber weißt du, Ryan, was man sieht, das glaubt man auch. Und ich habe ihn immer gesehen. Du konntest es nie.«
    Sie hatte das falsche Wort benutzt. Konntest… Ein schwerer Fehler. Sie hörte die leisen kleinen Seufzer, mit denen er sich von ihr zurückzog, zurück in sein festgefügtes Universum, in dem Geister nicht existierten und die Hexerei der Mayfairs ein Familienscherz war, ein ebensolcher Spaß wie all die alten Häuser und altmodischen Treuhandfonds und der Schmuck und die Goldmünzen in den Tresoren. Ein ebensolcher Spaß wie der Umstand, daß Clancy Mayfair jetzt

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