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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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er war und was er wollte, vielleicht noch bevor sie das Haus betrat. Aber noch jedesmal im Leben, wenn ihr etwas solche angst gemacht hatte, war sie davongekommen, halbwegs verlegen, weil sie sich so ang e stellt hatte. Eigentlich war Gifford nie etwas wirklich Schli m mes zugestoßen.
    Wahrscheinlich war es ein Nachbar oder jemand mit einer A u topanne. Er hatte das Licht ihres Feuers gesehen, oder die Funken, die über diesem einsamen, schlafenden Strand aus ihrem Kamin stoben.
    Sie fand es weniger beunruhigend als vielmehr faszinierend, daß dieses seltsame Wesen dort in ihrem eigenen Haus vor ihrem eigenen Kamin stand und sie beobachtete. Es lag nichts Bedrohliches in seinem Gesicht oder in seiner Haltung; im Gegenteil, der Mann schien ihr die gleiche Neugier, das gleiche warme Interesse entgegenzubringen wie sie ihm.
    Er beobachtete, wie sie ins Zimmer trat. Sie wollte die Glastür hinter sich schließen, überlegte es sich aber dann doch a n ders.
    »Ja? Was kann ich für Sie tun?« fragte sie. Das Wispern des Golfes war wieder fast verstummt. Sie stand mit dem Rücken zum Ende der Welt, und am Ende der Welt war es still.
    Der Duft war plötzlich überwältigend. Er schien das ganze Zimmer auszufüllen, mischte sich mit den brennenden Eichenscheiten im Kamin, mit dem verkohlten Geruch der Ziegelste i ne und mit der kalten, frischen Luft.
    »Komm zu mir, Gifford«, antwortete er mit geschmeidiger, verblüffender Schlichtheit. »Komm in meine Arme.«
    »Ich habe Sie nicht ganz verstanden«, sagte sie; das gezwungene, unbehagliche Lächeln blitzte auf, ehe sie es verhindern konnte, und die Worte fielen ihr von den Lippen, als sie nähe r kam und die Hitze des Feuers spürte. Der Duft war so köstlich, daß sie plötzlich nur noch atmen wollte. »Wer sind Sie?« Sie bemühte sich, höflich zu klingen. Gelassen. Normal. »Kennen wir uns, Sie und ich?«
    »Ja, Gifford. Du kennst mich. Du weißt, wer ich bin.« Seine Stimme klang lyrisch, als rezitiere er etwas in Versen, ohne daß es sich reimte. Er schien die einfachen Silben, die er sprach, zu genießen. »Du hast mich gesehen, als du ein kle i nes Mädchen warst.« Es klang sehr schön, wie er das sagte. »Ich weiß es. Ich kann mich nicht recht an den Augenblick erinnern. Du kannst dich für uns beide erinnern. Gifford, denke zurück, denke zurück an die staubige Veranda, an den übe r wucherten Garten.« Er sah traurig aus und versonnen.
    »Ich kenne Sie nicht«, sagte sie, aber ihre Stimme klang nicht überzeugend.
    Er kam näher. Seine Gesichtszüge waren fein geschnitten, und die Haut… wie fein und makellos die Haut war. Er sah besser aus als ein Kramladen-Christus, das stand fest. Oh, eher wie Dürers berühmtes Selbstporträt. »Salvator mundi«, flüsterte sie. Hieß das Gemälde nicht so?
    »Ich habe diese letzten Jahrhunderte verloren«, sagte er, »wenn ich sie denn je gehabt habe – sosehr mußte ich mich mühen, auch nur die einfachsten festen Dinge zu sehen. Aber jetzt nehmen mich ältere Erinnerungen und Wahrheiten in B e schlag, aus Zeiten vor meinen Mayfair-Schönheiten, die mich so zart ernährten. Und ich bin angewiesen auf meine Chron i ken, ganz wie die Menschen – auf die Worte, die ich hastig schrieb, als der Schleier sich verdichtete, das Fleisch sich f e stigte und mich der Perspektive des Geistes beraubte, die mich den Triumph schneller und leichter hätte sehen lassen können, als ich es nun tun werde.
    Gifford ist diejenige, die Lasher sah. Ist es nicht die Wahrheit?«
    Beim Klang des Namens erstarrte sie. Und seine übrigen Wo r te, die weiter und weiter gingen wie ein Lied, verstand sie kaum noch.
    »Ja, ich habe den Preis gezahlt, den jedes weinende Kindlein zahlt, doch nur, um ein kostbareres Geschick zu gewinnen, und für dich eine kostbarere, tragischere Liebe.«
    Er sah aus wie Christus, als er sprach, wie Dürer auf dem Gemälde, mit Absicht vielleicht; er nickte ein wenig, um seine Worte zu unterstreichen, legte für einen flüchtigen Augenblick die Finger zu einem Spitzdach zusammen und spreizte sie dann auseinander, als appelliere er an die Luft. Ein Christus, der nicht weiß, wie er die Wandlung vollziehen soll und einen der zwölf Apostel fragt, während er doch weiß, daß er am Kreuze sterben wird.
    Ihr Kopf war völlig leer; sie konnte nicht denken, konnte keine Antwort, keinen Plan formulieren. Lasher. Ihr Körper meldete ihr unversehens, wie groß ihre Angst vor diesem fremden Mann war. Sie hatte die Hände

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