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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gehoben, rang sie fast, eine typische Geste bei ihr, und sie sah ihre eigenen Finger am Rande ihres Gesichtsfeldes wie verschwommene Flügel fla t tern.
    Von rasenden Puls- und Hitzewallungen überwältigt, konnte sie ihn plötzlich nicht mehr klar erkennen – nur noch die Schönheit an sich: Es war wie ein durch Spiegelungen verzer r ter Blick durch ein Fenster. Angst durchströmte und lahmte sie und zwang sie zugleich zu einer anderen Geste. Sie hob die Hand an die Stirn, und in einer blitzartigen Bewegung, alles verdunkelnd, kam seine Hand auf sie zu und schloß sich um ihr Handgelenk. Heiß, schmerzhaft.
    Ihre Augen schlössen sich. Sie hatte so große Angst, daß sie einen Moment lang eigentlich gar nicht da war. Eigentlich lebte sie nicht mehr. Sie war losgelöst, außerhalb der Zeit und an keinem wirklichen Ort. Die Angst ebbte ab und schwoll gleich wieder an, peitschte sie zu neuem Grauen. Sie fühlte den ha r ten Druck seiner Finger, und sie roch den schweren, warmen, verlockenden Duft.
    Widerspenstig, von Entsetzen und Wut erfüllt, sagte sie:
    »Laß mich los.«
    »Was wolltest du denn tun, Gifford?« Die Stimme klang beinahe schüchtern, mild, singend wie zuvor.
    Er stand jetzt dicht vor ihr. Seine Größe war fast monströs, ein Mann von knapp zwei Metern; sie konnte es nicht genau einschätzen – vielleicht gerade noch diesseits des Monströsen, ein Wesen mit schlanken Gliedmaßen, die Stirnknochen sehr ausgeprägt unter der glatten Haut.
    »Was wolltest du tun?« fragte er. Kindlich, nicht quengelnd, einfach nur unschuldsvoll und sehr jung.
    »Das Kreuzzeichen machen!« sagte sie in heiserem Flüsterton. Und sie tat es, krampfhaft, riß sich los von ihm und setzte noch einmal an: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Worte erklangen in ihr. Dann faßte sie sich und sah ihm ins Gesicht. »Sie sind nicht Lasher«, sa g te sie, und das Wort erstarb fast auf ihren Lippen. »Sie sind nur ein Mann. Ein Mann, der hier steht.«
    »Ich bin Lasher«, sagte er sanft, als wolle er sie vor der Härte seiner Worte beschützen. »Ich bin Lasher, und ich bin im Fleische, und ich bin wiedergekehrt, meine Schöne, meine Ma y fair-Hexe.« Eine wundervolle Aussprache, akzentuiert, und doch so schnell. »Fleisch und Blut, ja, ein Mann, wiederum ja, und ich brauche dich, meine Schöne, meine Gifford Mayfair. Schneide mich, und ich werde bluten. Küß mich, und du weckst meine Leidenschaft. Sieh selbst.«
    Und wieder stand sie irgendwie neben sich. Das Entsetzen konnte nicht alt oder ermüdend werden; es war nicht einmal zu bewältigen. Wer solche Angst hatte, mußte doch Barmherziger weise das Bewußtsein verlieren – und eine Sekunde lang glaubte sie, eben das werde geschehen. Aber sie wußte, wenn es passierte, wäre sie verloren. Dieser Mann stand vor ihr, und der Duft, der sie umflutete, kam von ihm. Er war nur eine Armlänge von ihr entfernt und schaute auf sie herab; se i ne Augen strahlten, sein Blick war fest und beschwörend, sein Gesicht war glatt wie das eines Babys, und seine Lippen w a ren fast so rosig wie Kinderlippen.
    Er schien sich seiner Schönheit nicht bewußt zu sein; besser gesagt, er schien sie nicht bewußt einzusetzen, um sie zu blenden, zu trösten oder zu beruhigen. Er schien sich selbst in ihren Augen nicht zu sehen; er sah nur sie. »Gifford«, flüsterte er. »Juliens Enkelin.«
    Sie zwang sich, zu Boden zu schauen, den Augenblick zu sp ü ren, die Fliesen unter ihren Füßen zu fühlen, das lästige, b e harrliche Flackern des Feuers, und seine Hände zu sehen, weiß und dick geädert wie die eines alten Menschen. Dann hob sie den Kopf und schaute auf die glatte, ruhige Christu s stirn, umflossen von dunklem Haar. Gemeißelte Grate für die geschmeidigen, schwarzen Augenbrauen, feine Knochen, die die Augen umrahmten und ihren Blick noch lebhafter werden ließen. Ein männlicher Kiefer, der dem glänzenden, kurzg e schnittenen Bart Kraft und Form verlieh.
    »Ich möchte, daß Sie jetzt gehen«, sagte sie. Es klang so u n sinnig, so hilflos. Sie dachte an die Pistole im Schrank. Schon immer sehnte sie sich insgeheim nach einem Grund, sie zu benutzen, das wußte sie jetzt. In der Erinnerung roch sie das Kordit und die schmutzigen Zementwände des Schießstandes in Gretna. Hörte, wie Mona sie anfeuerte. Sie spürte, wie das große, schwere Ding in die Höhe tanzte, wenn sie abdrückte. Oh, wie gern hätte sie es jetzt in der Hand.
    »Kommen Sie morgen früh

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