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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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angenehme Erinnerung sein: die we i chen grünen Ranken, das weiche Gefühl unter den Sohlen beim Klettern.
    »Ah, Chérie«, sagte er dann. »Mein Entzücken, mein wildes Ding.« Er schob das Fenster hoch, um sie zu empfangen, sie hereinzulassen. »Mon dieu, Kind, du hättest doch fallen können.«
    »Niemals«, flüsterte sie, sicher in seinen Armen.
    Nicht einmal Richard Llewellyn, der Bursche, den er sich hielt, kam zwischen sie. Richard wußte, daß er bei Julien anzuklopfen hatte; darüber hinaus konnte man nie mit Sicherheit sagen, was Richard eigentlich wußte. Vor Jahren hatte R i chard mit dem letzten Mann von der Talamasca gesprochen, obgleich Evelyn ihn davor gewarnt hatte. Am nächsten Tag war Richard zu ihr gekommen.
    »Nun, Sie haben ihm ja wohl nichts von mir erzählt, oder?« hatte sie ihn gefragt. Richard war so alt. Er hatte nicht mehr viel Zeit.«
    »Nein, diese Geschichte habe ich ihm nicht erzählt. Ich wollte nicht, daß er denkt…«
    »Was? Daß Julien mit einem Mädchen in meinem Alter ins Bett ging?« Sie hatte gelacht. »Sie hätten überhaupt nicht mit dem Mann reden sollen.« Richard hatte das Jahr nicht mehr überlebt, und als er gestorben war, hatten sie ihr seine alten Schallplatten gebracht. Er mußte also von dem Victrola g e wußt haben.
    Evelyn hätte Mona das kleine Victrola schon vor langer Zeit geben sollen. Sie hätte nicht so ein Trara vor den beiden a n deren, ihren idiotischen Enkelinnen Gifford und Alicia, darum machen sollen. Typisch Gifford, alles zu konfiszieren – das Grammophon selbst und die wunderschöne Halskette.
    »Wag es nicht!«
    Typisch Gifford, haargenau die falsche Entscheidung zu treffen, und typisch Gifford, alles mißzuverstehen. Entsetzt nach Luft zu schnappen, als die uralte Evelyn das Gedicht aufg e sagt hatte. »Wieso soll er gewollt haben, daß du es b e kommst? Was dachte er denn, was es bewirken kann? Er war ein Hexenmeister, und das weißt du. Ein Hexenmeister, genau wie die anderen.«
    Und dann das schreckliche Geständnis von Gifford: daß sie die Sachen genommen und wieder in der First Street versteckt hatte, in dem Haus, aus dem sie gekommen waren.
    »Du dummes Ding, wie konntest du so etwas tun?« hatte die uralte Evelyn gefragt. »Mona hätte sie haben müssen! Mona ist seine Urenkelin! Nicht wieder in das Haus, Gifford, wo Ca r lotta sie finden und vernichten wird!«
    Und plötzlich fiel es ihr wieder ein. Gifford war heute morgen gestorben!
    Sie ging die St. Charles Avenue hinauf zur First Street, und ihr verdrießliches, ärgerliches, unangenehmes, nervenverschleißendes Enkelkind war tot!
    »Warum wußte ich das nicht? Julien, warum bist du nicht g e kommen und hast es mir gesagt?«
    Vor mehr als einem Jahrhundert hatte sie eine Stunde vor J u liens Tod seine Stimme gehört. Er hatte unter ihrem Fenster gerufen. Sie war aufgesprungen und hatte es weit aufgerissen, und da hatte er unten im Regen gestanden, aber sie hatte sofort gewußt, daß es nicht wirklich Julien war. Sie hatte schreckliche Angst gehabt, er könnte schon tot sein. Er hatte ihr zugewinkt, fröhlich und munter, und ein großes, dunkles Pferd hatte neben ihm gestanden. »Au revoir, ma chérie!« hatte er gerufen.
    Und dann war sie zu ihm gelaufen, war den ganzen Weg g e rannt, zehn Straßen weit in die Stadt, und sie war am Spaliergitter hinaufgeklettert und hatte für einen kostbaren Moment seine Augen gesehen; es war noch Leben darin gewesen, und sie hatten sie angeschaut. Oh, Julien, ich habe dich rufen h ö ren, ich habe dich gesehen. Ich habe die Verkörperung deiner Liebe gesehen. Sie hatte das Fenster hochgeschoben, und sie hatte ihn gestützt.
    »Eve«, hatte er gewispert, »Evie, ich möchte sitzen. Hilf mir. Ich sterbe, Evie! Es passiert, es ist soweit!«
    Sie hatten nie erfahren, daß sie dagewesen war.
    Sie hatte im wütenden Unwetter draußen auf dem Verandadach gekauert und ihnen gelauscht. Sie hatte sich draußen an den Kamin geschmiegt, den Blitzen zugesehen und gedacht: Warum erschlagt ihr mich nicht? Warum sterbe ich nicht? Julien ist tot.
    »Was hat er dir gegeben?« hatte Mary Beth jedesmal gefragt, wenn sie sie gesehen hatte. Und sie kam Jahr für Jahr.
    Mary Beth hatte die kleine Laura Lee angestarrt – ein so schwaches, dünnes Baby, und nie eines, das die Leute in den Arm nehmen wollten. Mary Beth hatte immer gewußt, daß J u lien der Vater gewesen war. Und wie die andern sie gehaßt hatten. »Juliens Sprößling, schau sie an, mit dem Hexenmal

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