Tanz der Hexen
noch stand, aber es war unverändert, ganz unverändert.
Und hier das Blumengeschäft. Ja, sie hatte Blumen kaufen wollen, nicht wahr? Für ihr geliebtes Mädchen, ihren Liebling…
Sie ging weiter, bog von der Avenue ab in den Garden District und auf den Friedhof zu. Das hier war immer einer ihrer Lieblingsspaziergänge gewesen; man sah die Mayfair-Gruft, wenn man am Tor vorbeiging, und siehe da, Commander’s Palace war auch noch da! Schon von hier aus konnte sie die Markisen sehen. Wie viele Jahre war es her, daß sie da drinnen g e speist hatte! Natürlich hatte Gifford immer darum gebettelt, daß sie mit ihr hinging.
Lunch mit Gifford im Commander’s, und Ryan war ein so o r dentlicher Junge gewesen, mit einem so glänzenden Gesicht. Schwer zu glauben, daß ein solches Kind ein Mayfair sein sol l te, ein Urenkel Juliens. Aber die Mayfairs hatten zusehends dieses glänzende Aussehen angenommen. Gifford bestellte immer die Shrimps-Remoulade, und nie kleckerte sie auch nur einen Tropfen Sauce auf ihren Schal oder ihre Bluse.
Gifford. In Wirklichkeit konnte Gifford nichts zugestoßen sein.
Sie war plötzlich so erschöpft.
An der Ecke pflanzte sie beide Füße fest auf den Boden, u m klammerte ihren Stock mit beiden Händen und spähte in den Blätterkorridor der Washington Avenue. Die besten Eichen der Stadt, dachte sie oft, bis hinunter zum Fluß. Sollte sie aufgeben? Irgend etwas Schreckliches war geschehen, etwas sehr, sehr Schreckliches, und ihre Mission… was war es gewesen? Gütiger Gott, sie konnte sich nicht erinnern.
Ein alter, weißhaariger Gentleman stand da drüben – war er so alt wie sie? Und er lächelte. Er lächelte und winkte ihr zu, weiterzukommen. Was für ein Dandy! Und in diesem Alter. Sie mußte lachen beim Anblick so bunter Kleider. Eine gelbe Seidenweste! Bei Gott, das war Julien, Julien Mayfair! Ein mächtiger und angenehmer Schreck durchfuhr sie, den sie im ga n zen Gesicht spürte, als habe sie jemand mit einem kühlen Tuch berührt und aufgeweckt. Sieh ihn an. Julien! Er winkte ihr, weiterzukommen und sich zu beeilen.
Und dann war er weg, einfach weg, mitsamt der gelben W e ste, weg wie immer, der hartnäckige Tote, der verrückte Tote, der verwirrende Tote! Aber ihr war alles wieder eingefallen. Mona war oben im Haus, Gifford hatte einen tödlichen Blutve r lust erlitten, und Evelyn mußte in die First Street. Julien wußte, daß sie weitergehen mußte. Das genügte ihr.
»Du hast dich von ihm berühren lassen?« hatte Gifford staunend gefragt, und CeeCee hatte auf ihre hämische, alberne Weise gelacht.
»Ihr Lieben, ich hab’s genossen!«
Hätte sie so etwas doch nur zu Tobias und zu Walker sagen können. Ein paar Nächte vor Laura Lees Geburt hatte sie die Tür der Dachkammer aufgeschlossen und war allein zum Krankenhaus gelaufen. Die alten Männer hatten es erst erfa h ren, als das Kind sicher in ihren Armen lag.
»Siehst du denn nicht, was der Dreckskerl getan hat?« hatte Walker geschrien. »Er will die Hexensaat aussäen! Das hier ist auch eine Hexe!«
Wie zerbrechlich Laura Lee gewesen war. War das etwa Hexensaat? Wenn ja, dann hatten nur die Katzen es gewußt. Wie sie sich um Laura Lee gedrängt hatten, wie sie ihre Buckel gemacht hatten und ihr um die dünnen Beinchen gestrichen waren. Laura Lee mit dem Hexenfinger, den sie nicht an Alicia oder Gifford weitergegeben hatte, Gott sei Dank.
Die Ampel wurde grün.
Die uralte Evelyn begann die Straße zu überqueren. Sie ging weiter an der weißgestrichenen Mauer entlang, vorbei an den stillen und unsichtbaren Toten, den ordentlich begrabenen Toten, und als sie das Tor in der Mitte des Blocks erreicht hatte, blieb sie stehen. Sie sah gerade noch den Rand der Mayfai r schen Gruft in der Mitte des Blocks; sie ragte ein kleines Stück weit in den Weg hinein. Sie kannte sie alle, die dort lagen; sie hätte an jedes der steinernen Rechtecke klopfen und sagen können: »Hallo da drinnen, Darling.«
Gifford würde nicht dort bestattet werden, o nein. Gifford wü r den sie draußen in Metairie begraben. Country-Club-Mayfairs, dachte sie. Sie hatten sie immer schon so genannt, schon zu Cortlands Zeiten, oder war es überhaupt Cortland gewesen, der diese Bezeichnung in die Welt gesetzt hatte, um seine eigenen Kinder zu beschreiben? Cortland, der ihr einmal ins Ohr geflüstert hatte: »Tochter, ich liebe dich«, so rasch, daß die Country-Club-Mayfairs es nicht hatten hören können.
Gifford, mein Liebling Gifford.
Sie
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