Tanz der Hexen
deiner Schwester geben.«
Gifford hatte sich auf die Fersen gehockt und staunend die lange Kette betrachtet.
Es war ein so gutes Gefühl für Evelyn, Carlotta derart überlistet zu haben und die Perlen zu behalten, als alles andere verloren schien. Die Perlen und den Musikkasten, ihre Schä t ze.
Ah, hier war die Washington Avenue. Das war sie. Kein Zwe i fel. Und siehe da, den Blumenladen gab es auch noch, und das bedeutete, daß die uralte Evelyn vorsichtig diese paar kleinen Stufen hinaufgehen und selbst die Blumen für ihr kos t bares kleines Mädchen bestellen konnte.
Sie wußte, welche Blumen sie schicken wollte. Sie wußte, welche Blumen Gifford geliebt hatte.
Sie würden sie nicht zur Totenwache nach Hause bringen. Natürlich nicht. Nicht die Mayfairs aus Metairie. Die würden so etwas nie tun. Wahrscheinlich wurde der Leichnam bereits geschminkt in irgendeinem gekühlten Bestattungsinstitut liegen.
»Versucht nicht, mich in einem solchen Laden auf Eis zu l e gen«, hatte Evelyn im vergangenen Jahr nach Deirdres Bee r digung gesagt, als Mona dagestanden und ihr das Ganze geschildert hatte. Wie Rowan Mayfair aus Kalifornien geko m men war und sich über den Sarg gebeugt hatte, um ihre tote Mutter zu küssen. Wie Carlotta am selben Abend tot in Dei r dres Schaukel-Stuhl gekippt war, als wolle sie mit Deirdre z u sammen tot sein und die arme Rowan Mayfair aus Kalifornien ganz allein in diesem unheimlichen Haus zurücklassen.
»O Leben, o Zeit«, hatte Mona gesagt; sie hatte die dünnen, bleichen Arme ausgestreckt und das lange rote Haar nach links und nach rechts schwingen lassen. »Es war schlimmer als Ophelias Tod.«
»Wahrscheinlich nicht«, hatte die uralte Evelyn erwidert. Denn Deirdre hatte schon vor Jahren den Verstand verloren, und wenn diese kalifornische Ärztin, Rowan Mayfair, auch nur ein bißchen Mumm gehabt hätte, dann wäre sie schon längst nach Hause gekommen und hätte diejenigen, die ihre Mutter unter Drogen gesetzt und gequält hatten, zur Rede gestellt. Nichts Gutes konnte von diesem kalifornischen Mädchen kommen, das wußte die uralte Evelyn, und deshalb hatten sie sie nie in die Amelia Street gebracht, so daß die uralte Evelyn sie nur einmal gesehen hatte, nämlich bei der Hochzeit, als sie überhaupt keine Frau gewesen war, sondern ein Opferlamm für die Familie, ganz in Weiß ausstaffiert. Der Smaragd hatte auf ihrer Brust gebrannt.
Nicht weil Rowan Mayfair, der das Vermächtnis bestimmt war, in der Kirche von St. Mary einen jungen Mann namens Mich a el Curry heiratete, war sie zu dieser Hochzeit gegangen, so n dern weil Mona die Blumen streuen sollte, und es hatte Mona glücklich gemacht, daß die uralte Evelyn kam und in der Ki r chenbank saß und Mona vorüberziehen sah und ihr zunickte.
So schwer war es gewesen, das Haus nach all den Jahren zu betreten und es wieder so schön zu sehen, wie es damals gewesen war, als sie mit Julien hier gewesen war. Das Glück Dr. Rowan Mayfairs und ihres unschuldigen Bräutigams M i chael Curry zu sehen.
Und Braut und Bräutigam vom vergangenen Jahr hatten in diesem Doppelsalon getanzt. Und das Victrola war in der B i bliothek in der Wand versteckt, und niemand würde es je fi n den. Sie selbst hatte nicht daran gedacht, denn sonst wäre sie vielleicht hingegangen, während alle anderen sangen und tanzten und miteinander lachten. Vielleicht hätte sie es dann dort unter diesem Dach wieder aufgezogen und gesagt: »Jul i en!«, und dann wäre er zur Hochzeit gekommen, ein unerwa r teter Gast.
Hatte einfach nicht daran gedacht.
Spät in der Nacht war Gifford in Alicias Schlafzimmer in der Amelia Street gekommen. Sie hatte der uralten Evelyn eine Hand auf die Schulter gelegt. »Ich bin froh, daß du zur Hoc h zeit gekommen bist«, hatte sie freundlich gesagt. »Ich wünsc h te, du würdest jetzt wieder öfter herauskommen.« Und dann hatte sie gefragt: »Du warst doch nicht an dem Ve r steck? Du hast es ihnen doch nicht erzählt?«
Die uralte Evelyn hatte sich nicht die Mühe gemacht, darauf zu antworten.
»Rowan und Michael werden glücklich sein!« Gifford hatte ihr einen Kuß auf die Wange gegeben und war gegangen. Im Zimmer hatte es nach Alkohol gestunken. Alicia stöhnte, wie ihre Mutter gestöhnt hatte, entschlossen, um jeden Preis zu sterben und bei Mutter zu sein.
Washington Avenue. Ja, das war sie. Da drüben das Queen-Anne-Haus mit den weißen Schindeln, genau wie immer. Es war natürlich das einzige an den vier Ecken, das
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