Tanz der Hexen
später in der Wand in der Bibli o thek gefunden worden war.
Nein, über nichts von alldem hatten sie bisher gesprochen. Giffords Tod hatte alles beiseite gefegt.
Die uralte Evelyn hatte Mona gestern den ganzen Vormittag in den Armen gehalten, während Mona um Gifford weinte und mühsam versuchte, sich an einen Traum zu erinnern, in dem sie ihre Tante niedergeschlagen zu haben glaubte, absichtlich und voller Haß. Natürlich war das alles irrational. Sie wußte es. Alle wußten es. Schließlich hatte Michael Monas Hand genommen und gesagt: »Was immer hier geschehen ist, es war meine Schuld, und du hast deine Tante nicht umgebracht. Du warst es nicht. Es war Zufall. Wie könnte das, was du g e tan hast, sie töten?« Und tatsächlich hatte es so ausgesehen, als komme Mona mit dem wilden Überschwang der ganz Ju n gen blitzartig wieder zu sich. Sie war kein gewöhnliches kle i nes Mädchen, diese Mona. Trotzdem war es unrecht gewesen – ein Mann seines Alters mit einer Dreizehnjährigen. Wie hatte er das tun können? Aber das Merkwürdige war: Das Haus verachtete ihn nicht dafür, und das Haus schien es zu wissen.
Einstweilen jedoch war die Sünde im Trubel verlorengegangen. Einfach fort. Gestern abend, vor der Totenwache, hatten Mona und die uralte Evelyn die Bücher aus dem Regal g e nommen und die Perlen und das Grammophon und Violettas Walzer auf einer glänzenden alten RCA-Victor-Platte entdeckt. Es war dasselbe Grammophon. Er hatte Fragen stellen wollen, aber sie hatten in hastigem, aufgeregtem Ton miteinander gesprochen.
»Wir können es jetzt nicht spielen lassen«, hatte die uralte Evelyn gesagt. »Nicht, wenn Gifford tot ist. Klappt das Klavier zu und verhängt die Spiegel. Gifford hätte es so gewollt.«
Henri hatte Mona und die uralte Evelyn nach Hause gefahren, damit sie sich zur Totenfeier umziehen konnten, und dann war er hinaus zum Bestattungsinstitut gegangen. Michael war mit Bea, Aaron, seiner Tante Vivian und ein paar anderen gefa h ren. Die Welt hatte ihn verblüfft und herausgefordert und b e schämt in ihrer lebendigen Schönheit; die Nacht hatte gestrotzt vor neuen Blüten, und die Bäume hatten geächzt unter der Last des frischen Laubes. Die sanfte Nacht des Frühlings.
Gifford sah im Sarg nicht wie sie selbst aus. Das kurze Haar war zu schwarz, das Gesicht zu schmal, der Mund zu rot.
Aber es war eine Mayfair-Totenfeier gewesen, das stand fest, mit viel Wein und Gesprächen und Tränen; etliche katholische Würdenträger waren gekommen, um zu kondolieren, Schwä r me von Nonnen, Vögeln gleich in ihrem blau-weißen Habit, und Dutzende von befreundeten Geschäftsleuten und Anwä l ten und Nachbarn aus Metairie, die in ihren blauen Anzügen ebenfalls aussahen wie Blauhäher.
Schock, Elend, Alptraum. Mit wächsernen Gesichtern hatten die nächsten Anverwandten jeden trauernden Verwandten und Freund empfangen. Und draußen erstrahlte die Welt in frü h lingshafter Pracht, wann immer er zwischendurch einmal ins Freie trat.
Um elf war er allein nach Hause zurückgekehrt; er hatte seine Garderobe durchforstet, seinen Koffer gepackt und einen Plan gemacht. Er hatte das ganze Haus durchstreift, und dabei ha t te er es vollends gespürt: Das Haus sprach wieder mit ihm, das Haus selbst reagierte.
Es war vielleicht Wahnsinn zu glauben, das Haus sei lebendig, aber er hatte es schon früher erlebt, in einer Mischung aus Glück und Bedauern, und jetzt erlebte er es wieder, und das war besser als zwei elende Monate der Einsamkeit und der Krankheit, in denen er von Medikamenten benebelt dahing e siecht war.
Lange hatte er das Grammophon und die Perlen angestarrt, die nachlässig wie Mardi-Gras-Tinnef auf dem Teppich gel e gen hatten. Unbezahlbare Perlen. Noch immer klang ihm die seltsame Stimme der uralten Evelyn im Ohr, dunkel und leise und zugleich hübsch, wie sie unaufhörlich mit Mona redete.
Niemand sonst schien von diesen Schätzen aus dem Fach hinter der Bücherwand zu wissen oder sich dafür zu intere s sieren; sie lagen in einer dunklen Ecke neben dem Bücherst a pel, als sollten sie weggeworfen werden. Niemand berührte oder bemerkte sie.
Und jetzt fand die Konferenz nach dem Begräbnis statt. Es mußte sein. Er hätte sie in Ryans Haus abgehalten, wenn das nicht so schwierig gewesen wäre. Aber Ryan und Pierce ha t ten gesagt, sie müßten in die Kanzlei; es ginge nicht anders. Sie gestanden, daß sie die Besuche jetzt satt hätten.
Aber Michael konnte diese Zusammenkunft nicht
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