Tanz der Kakerlaken
bereits schlafen gegangen. So sollte es eigentlich auch sein, überlegt er. So sollte es die ganze Zeit über in Stay More sein: keine Aufregung, keine besonderen Vorkommnisse, ein voller Bauch und die Kühle des Abends (obwohl es ein bißchen zu trocken ist und so aussieht, als sollte es für eine ganze Weile nicht wieder regnen) und die alten vertrauten Geräusche draußen im Hof und auf der Straße und im Gras, die sich zur Purpursinfonie zusammenfinden. Doc Swain könnte hier für immer sitzen bleiben und einfach nur atmen. Vielleicht hin und wieder ausspucken, nicht um sein Revier zu markieren oder weil er Tabak oder sonstwas kaut, sondern spucken einfach um des lieben verdammten Ausspuckens willen.
Nun, da die Uhr stehengeblieben ist, steht die Zeit still. Es ist nicht die Schuld der Frau, weil Sie nicht daran gedacht hat, vor Ihrem Weggehen die Uhr aufzuziehen, oder weil Sie nicht zurückgekommen ist, um sie wieder in Gang zu setzen. In der Stille überlegt Doc, daß die Frau heute eigentlich hätte zurückkommen müssen, wenn nicht schon spät in der letzten Nacht, nachdem Sie dafür gesorgt hat, daß der Mann sicher im Haus Pital ist. Muß Sie vielleicht ebenfalls im Haus Pital bleiben? Steht Sie für Bluttransfusionen zur Verfügung? Ist das Herz des Mannes an das Ihre gekoppelt? Oder, betrüblicher Gedanke, wenn der Mann verwestert ist oder schon im Westen war, bevor Sie ihn aus Stay More wegbrachten: Ist die Frau damit beschäftigt, die Beerdigung oder die Überführung des Leichnams dorthin, woher der Mann gekommen sein mag, zu organisieren? Doc kann nicht verstehen, weshalb die Frau nicht zurückkommt. Drüben im Parthenon kann er kein Lebenszeichen entdecken … obwohl er weiß, daß es dort Knackerlaken gibt. Chid und seine Bande, die sich dort breitmachen und Unheil aushecken.
Eine weitere Möglichkeit kommt Doc in den Sinn, um das Fernbleiben der Frau zu erklären: Sie ist dem Mann so zugetan, daß Sie an Seiner Seite bleibt. Ja, wahrscheinlich ist es das, sagt sich Doc und wünscht, es wären andere zugegen, jemand von den alten Müßiggängern, zu denen er es sagen könnte.
Wie als Antwort auf seinen Wunsch taucht einer der alten Müßiggänger auf, aber er ist eindeutig mehr Patient als Müßiggänger. Leroy Sizemore fehlen zwei Krabbler, und er schleppt zwei weitere hinter den beiden her, die noch tauglich sind; eine seiner Schnüffelruten ist auch zerbrochen, die eine Hälfte baumelt ihm vor dem Gesicht herum. Die Überbleibsel seiner Flügel sind zerfetzt. Er kann nicht einmal die Veranda hinaufsteigen, wo Doc hockt, sondern bleibt draußen im Hof stehen und bringt es kaum fertig, den Kopf zu heben und zu stöhnen: »Doc, ich habe einige Beschwerden.«
»Sieht ganz danach aus, Bruder Sizemore«, bemerkt Doc.
»Ich bin kein ›Bruder‹ Sizemore mehr«, erklärt Leroy. »Ich bin kein Bruder gar nichts.« Er macht noch drei Schritte auf Doc zu und sinkt dann in den Staub nieder, und es fehlt eigentlich nur noch die Bauch-nach-oben-Position, um völlig verwestert zu wirken.
Doc humpelt von seiner Veranda herunter und fühlt Leroy den Puls, der noch schwach schlägt. »Was ist passiert, mein Sohn?« fragt Doc.
Ohne den Kopf aus dem Staub zu heben, berichtet Leroy: »Junker Hank ist über uns hergefallen. Er ist in den Parthenon gekommen und hat uns alle verjagt.«
»Euch alle sieben?« fragt Doc.
»Wir waren bloß zu viert«, widerspricht Leroy, als würde die verminderte Zahl die Geschichte wahrscheinlicher machen. »Chids Jungen Archy nicht mitgerechnet, meine ich. Bloß wir drei gewesenen Diakone und Chid. Die andern drei gewesenen Diakone sind völlig Gewesene, Punkt. Ich schätze, sie sind in den Fluten verwestert. Bloß ich und Stan und Gene, die wir Diakone von nichts mehr sind, weil Chid los ist und die Religion abgelegt hat, und wir wollten gerade von allen Ämtern, die Chid vielleicht für uns im Sinn hatte, zurücktreten, als Junker Hank zurückgekommen ist in den Parthenon und uns alle rausgeworfen hat.«
»Euch rausgeworfen hat?« fragt Doc.
»Ja, sozusagen. Den ollen Gene hat er geradewegs zur Tür rausgeschmissen, und den ollen Stan hat er gepackt und die Veranda runtergeworfen, und dann ist er auf mich los, und ich war dumm genug, mich zu wehren, und sehen Sie sich an, was er mit mir gemacht hat!«
»Und was hat er mit Chid gemacht?« fragt Doc.
»Weiß der Herr«, sagt Leroy. »Nee, der Herr weiß nichts, oder? Wo immer Er ist. Archy sagt, ein paar menschliche
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