Tanz der Kakerlaken
der Frau geredet und mit Ihr gestritten hatte, etwa zu der Zeit, als die Uhr »TUTTI-FRUTTI« schlug, alle Kleider, die Ihren Leib bedeckten, sowie Seine eigene Kleidung entfernt hatte und zusammen mit Ihr in Ihr Bett gestiegen war, wo Er und Sie unter der Decke, die wegen der Herbstkühle erforderlich war, Bewegungen ausgeführt hatten, über deren Bedeutung Sam nur mutmaßen konnte. Dann hatten Sie geschlafen. Sam war bis ins Morgengrauen hinein wach geblieben und hatte gewartet, daß Sie erwachten, aber dann war er schließlich eingenickt, und als er aufwachte, war der Mann gegangen, während die Frau laut vor sich hin geschimpft hatte über Ihre Dummheit und Ihren Kater und Ihr dringendes Bedürfnis nach einer Zigarette.
Jetzt beobachtete Sam Sharon, die zweimal Ihren Namen hatte rufen hören. Ein langes Schweigen folgte. Sams Schnüffelruten machten den unmißverständlichen Geruch von Sehnsucht aus. Die Borsten auf den unteren Segmenten der Schnüffelruten sind besonders empfindlich für Gerüche der Sehnsucht, des Verlangens, der unaussprechlichen Wehmut, sowohl bei den eigenen Mitknackerlaken als auch beim Menschen, und einen solch sehnsüchtigen Geruch mit den Schnüffelruten zu erhaschen brachte Glück. Es gibt ein Sprichwort: »Seltener noch als Kiefernduft riecht man Sehnsucht in der Luft« – was tatsächlich selten ist, denn es gibt ausgesprochen wenig Kiefern in diesem Teil der Ozarks.
Sharon sehnte sich. Und weil er es so deutlich feststellte, wurde Sam ganz aufgeregt, denn er wußte, daß ihm nun irgendein Glück widerfahren würde. Er war nicht auf gewöhnliche Weise abergläubisch, nicht so wie die große Mehrheit der Knackerlaken, die keinen Schritt tun konnten, ohne einige der albernsten Überzeugungen und Rituale zu befolgen, aber Sam war der Meinung, daß der Aberglaube überzeugendere Verhaltensregeln aufstellte als die Religion, für die er überhaupt keine Verwendung hatte: Er wußte genug, um zu dem Schluß zu kommen, daß er von keiner Frau erschaffen worden war, schon gar nicht von Sharon. Er glaubte nicht daran, daß Joshua Chrust der Sohn von Sharon oder Larry oder einem Ihrer Vorfahren gewesen sei. Er glaubte nicht daran, daß Sharon ihn nur dann weiterernährte, wenn er Ihr Lob und Preis sang … obwohl er durchaus geneigt war, Ihr Lob und Preis zu singen. Er glaubte nicht daran, daß er nach seiner Verwesterung bis in alle Ewigkeit auf Ihrer rechten Hand leben würde. Sie würde ihn weder auf Ihrer rechten noch auf Ihrer linken Hand dulden. Und was das ganze Entrückungsgeschäft anging, von dem dieser Scharlatan Chidiock Tichborne predigte, so würde Sam sich mit Freuden von der Frau entrücken lassen, aber nicht im westerlichen Sinne und bestimmt nicht durch eine Feuerwaffe, die die Frau ohnehin nicht besaß.
Aber er glaubte fest daran, daß der Geruch der Sehnsucht Glück brachte. Das größte Glück, das er sich vorstellen konnte und von dem er manchmal im täglichen Schlaf träumte, wäre irgendein Zauber, der entweder die Frau in eine Knackerlake verwandelte oder, besser noch, Sam in einen Mann. Er wünschte sich das von ganzem Herzen, aber ihm war doch klar, daß eine solche Metamorphose schlichtweg ins Reich der Fabel gehörte.
Sam kroch aus seiner Uhr bis an die Kante des Kaminsimses. Die Frau nahm gerade das schwarze Sprechgerät auf und hielt es gegen Ihr Ohr, während einer Ihrer Finger mit dem Bauch der anderen Hälfte des Apparats herumspielte. Sam überlegte, ob Sie Tele-Med anrief, vielleicht ein Programm mit dem Titel »Was tun, wenn dein Exliebhaber mitten in der Nacht deinen Namen betrunken in die Gegend schreit?«. Aber Sie begann in das Ding hineinzusprechen, und niemand spricht je mit Tele-Med. Natürlich konnte Sam nicht hören, was Sie sagte, und dieses Mal konnte er es sich nicht einmal vorstellen. Ob er Sie hören könnte, wenn er näher rückte? Ganz nah? Sagen wir mal, oben auf die Sesselkante? Sollte er?
Vorher aber wollte er sichergehen, daß er peinlichst sauber war, obwohl er sein Abendbad bereits genommen hatte und es für das Morgenbad noch zu früh war. Er schrubbte energisch den Kopf, wusch dann seine beiden Schnüffelruten und zählte jedes Segment, während es zwischen seinen Lippen hindurchglitt, 356 Segmente insgesamt, von denen ein jedes ein bißchen Information über seine Umwelt aufzunehmen hatte. Als nächstes wusch und schrubbte er seine Schwanzreifen mit den hinteren Krabblern, prüfte jede Zange, bewegte sie und ließ sie dann
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