Tanz der Kakerlaken
Namen der Frau in die Nacht gerufen hatte. Sie jedenfalls hatte ihn über eine Viertelmeile weit durch den leeren Ort vernommen.
Sam konnte nur das eingebildete stetige Ticken seines kleinen Schlößchens hören, dafür waren sein Gesichts- und Geruchssinn um so feiner ausgebildet, und er nahm die winzigsten Veränderungen in der Frau wahr, als sie Ihren Namen aus der Ferne hörte. Sie saß beim matten Schein einer Kerosinlampe, die auf einem runden Tischchen stand, in Ihrem Sessel, einem wunderbaren Möbel mit hoher, gut gepolsterter Lehne, die Ihren Rücken stützte; weitere Kissen stützten Ihren Hintern sowie die Arme, welche in reizende Hände ausliefen, die ein Buch hielten. Sam war Ihr dankbar, daß Sie, obwohl Ihr elektrischer Strom zur Verfügung stand, Parthenon nur mit dem angenehmen Schein von Kerosinlaternen und -lampen erleuchtete. Das milde Licht tat seinen vier Augen gut; seine Ocellen, oder Sterngucker, erschreckten ihn so nicht jedesmal zu Tode, wenn Sie eine Lampe anmachte.
Als der ferne klagende Ruf »Sharon« durch die offene Tür ins Zimmer wehte, ließ die Frau das Buch fallen, schied unwillkürlich drei verschiedene Gerüche aus, Angst, Ärger und Erregung, die Sams Schnüffelruten gründlich aufnahmen und einordneten, und sprach, nachdem Sie Ihren Namen zum zweiten Mal gehört hatte, laut vor sich hin: »Ach zum Kuckuck, Larry! Warum fällst du nicht einfach tot um?«
Sam hörte nichts davon, aber er konnte genau orten, daß Sie etwas von weit her gehört haben mußte, was Sie verstört hatte, und daß Sie etwas dagegen gesagt hatte. Sie nahm Ihr Buch nicht gleich wieder vor.
Sams Mutter hatte ihm in seinem zweiten oder dritten Stadium erklärt (so wie Opa Ingledew es ihr erzählt hatte), wie die Frau den Parthenon, der im antiken Stay More eines der Lebensmittelgeschäfte für die Einwohner gewesen war, bezogen hatte. Die Vorfahrin dieser Frau, Sams Frau, war die Besitzerin des Ladens gewesen, der den mittleren Raum des Hauses einnahm, während Ihr Schlaf- und Wohnzimmer auf der anderen Seite des Parthenon lagen. Die Ahnen-Frau, eine legendäre Halbgöttin namens Latha, verließ den Parthenon später, und über zahllose Generationen von Knackerlaken hinweg hatte er leergestanden, wie überhaupt alle anderen Gebäude von Stay More unbewohnt und die meisten der Zerstörung durch Verfall, Vernachlässigung, Wind und Wetter, Feuer und Vandalismus preisgegeben waren. Vor einer Generation (eine Knackerlakengeneration vom Ostern bis zum Western umfaßt etwa zwei volle Jahre) kam diese Frau, Sharon, plötzlich nach Stay More zurück und nahm den Wohntrakt, nicht aber die Geschäftsräume wieder in Beschlag. Sharon war, so hatte Sam entdeckt, bevor er sein Gehör verloren hatte, die Enkelin von Latha, und die zwei Frauen standen noch immer über das schwarze Gerät in Verbindung, das ständig auf dem bewußten runden Tisch mit der Kerosinlampe hockte.
Sam hatte die alte Halbgöttin Latha sogar schon mehr als einmal gesehen, wenn sie nämlich ihre Enkelin besuchen kam und die zwei zur Abenddämmerung in Schaukelstühlen auf der Veranda saßen, obwohl Latha für gewöhnlich bei Tage kam, wenn Sam fest schlief. Das eine Mal aber, als Latha am Abend gekommen und Sam kühn hinter ihren Schaukelstuhl gekrabbelt war, um das Gespräch der beiden Frauen zu belauschen, war sein Gehör noch ausgezeichnet gewesen, und er hatte genug von der Unterhaltung aufgeschnappt, um daraus zu schließen, daß seine Frau, Sharon, als Kind in Stay More gelebt hatte, fortgegangen und jahrelang in einer Großstadt geblieben war, dann in einer Kleinstadt, dann wieder in einer Großstadt, bevor Sie nach Stay More zurückkehrte, um den Parthenon aufzuräumen und zu renovieren und allein darin zu leben. Die Großmutter, Latha, hatte sich Sorgen gemacht, daß Sharon in dem ausgestorbenen Dorf einsam sein könne, aber Sharon hatte den Gedanken von sich gewiesen. Das alles war vor der Ankunft des Mannes gewesen. Durch seine lebenslange Anwesenheit im Schlafzimmer der Frau wußte Gregor Samsa Ingledew ein paar Dinge, von denen keine andere Knackerlake in Stay More eine Ahnung hatte, und eines davon war der Name des Mannes, nämlich Larry. Da die einzigen Knackerlaken, die jetzt den Parthenon bewohnten, Sam und sein Vater, Junker Hank Ingledew, waren und da Junker Hank seine meiste Zeit draußen bei Doc Swain verbrachte, war nur Sam bei dem einen Mal zugegen gewesen, als Larry eines Nachts in den Parthenon gekommen war, lange mit
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