Tanz der Kakerlaken
der Herr Sein linkes Auge nur für Sekundenbruchteile aufschlug und es dann wieder fest schloß, faßte Chid Tichborne es als Zeichen auf, daß der Herr ihn erhört hatte und zu verschonen beabsichtigte, daß der Herr ihm seine Missetaten verzieh. Ein kalter Schauer überlief Chid; nein, es wurde ihm klar, daß es nicht sein eigener kalter Schauer war, sondern einer, der den Herrn Selbst überlief, so daß der ganze Leib des Herrn erzitterte. Chid sah einen Vogel auf sich niederstoßen, aber er fürchtete kein Unglück, denn der Herr war bei ihm, und der Herr zuckte mit dem Ellbogen, woraufhin der Vogel einen Schlenker machte, Chid verfehlte und sich wieder außer Sichtweite in die Lüfte erhob. Auch die Eidechse im Gras zog sich zurück.
Der Herr begann sich zu erheben. Er zog Seine Knie an, spreizte die Handflächen auf dem Boden und machte den Rücken rund. Chid wollte nicht ins Gras hinunterfallen, wo Eidechsen, Schlangen, Vögel oder Herr-weiß-was-alles ihn erwischen könnten. Er klammerte sich an die Jeans des Herrn und versuchte, in die Gesäßtasche des Herrn zu kriechen, aber dort war es zu eng. Als der Herr sich auf die Knie aufrichtete, kletterte Chid über Seinen Gürtel hinweg hinten auf Sein Hemd, und als der Herr allmählich ganz aufstand, kroch Chid hinauf unter den Hemdkragen des Herrn. Dort, wo ihn kein Geschöpf und nicht einmal der Herr sehen konnte, versteckte er sich und krallte sich fest, während der Herr eine Weile im Hof von Carlott herumtorkelte, das eine oder andere verrostete Autoteil fortkickte und schließlich zur hinteren Veranda des Heiligen Hauses wankte.
Obwohl es ihn angesichts der großen Höhe und seiner eigenen Verwegenheit nervös kribbelte, fühlte sich Chid über seine frühere Stellung im Leben erhaben und beinahe geheiligt, beinahe selbst mit Gottheit begabt. Würden diese ungläubigen Sackerlaken nicht vor Staunen fromm werden, wenn sie ihn sehen könnten? Aber alle Knackerlaken hatten sich für den Tag in tiefen Schlummer zurückgezogen, und es war niemand da, um den kühnen Ritt des Geistlichen im Nacken des Herrn zu bezeugen.
Der Herr schlurfte durch das Heilige Haus in Seine Kochstatt. Er schwang die große Tür des Sagenhaften Kühlschranks auf, und ein Schwall kalter Luft durchfuhr Chid und ließ ihn mit den Mandibeln klappern. Der Herr starrte einfach nur lange Zeit in das Innere des Kühlschranks, als ob Er versuchte, zu entscheiden, was Er nehmen sollte, vielleicht aber auch nur, um zu prüfen, daß nichts fehlte (aber keiner Knackerlake war es je gelungen, sich in das hermetisch verschlossene Innere einzuschleichen). Dann schloß der Herr die Tür des Kühlschranks wieder, ohne etwas herausgenommen zu haben. Er beugte sich tief über das zweiteilige Porzellanbecken, einen bei den Knackerlaken beliebten Ort für Kneipp-Partys, hielt den Kopf unter den Fantastischen Wasserhahn und drehte auf, so daß sich ein großer Schwall Wasser über Sein graues Haar ergoß und bis hinten in Seinen Kragen spritzte, wo Chid kauerte, nur teilweise vor dem Sprühregen geschützt. Eine volle Minute lang, so schien es Chid, hielt der Herr Seinen Kopf unter das rauschende Wasser, dann hob Er den Kopf und schüttelte ihn kräftig, wie um ihn zu trocknen.
Der Herr taumelte gegen den Küchentisch und stieß dabei einen Bücherstapel um, der auf dem Tisch neben der offenen Bierdose lag. Ein paar Bücher fielen zu Boden, aber die Bierdose schwankte nur. Der Herr packte sie, setzte sie an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck. Der Herr würgte, hustete, öffnete die Tür, die von der Kochstatt in den Vorgarten führte, holte aus und warf die Bierdose mitsamt Inhalt quer durch den Hof westwärts über die unkrautbewachsene Roamin Road, bis an den Rand Seines Kompost- und Abfallhaufens.
Dann machte sich der Herr eine Kanne Kaffee. Der Geruch beleidigte Chid, der einmal versucht hatte, ein Kaffeekörnchen zu essen, und es mit Übelkeit bezahlt hatte. Der Herr goß sich eine große Tasse von dem Zeug ein, dann nahm Er eine Schachtel vom Küchenschrank und zog einen Haferkeks aus der Schachtel. Krümel fielen zu Boden, und Chid widerstand der großen Versuchung, sich vom Kragen des Herrn fallen zu lassen und sich das Essen auf dem Boden zu genehmigen, aber jetzt war heller Tag, und keine Knackerlake diniert jemals nach dem Morgengrauen.
Mit Seinem Keks und dem Kaffee verließ der Herr die Kochstatt, ging durch das Eßzimmer und den Mußeraum und betrat das Sinnierzimmer.
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