Tanz der Kakerlaken
Normalerweise tat der Herr in diesem Zimmer nichts anderes, als in einem Drehstuhl an Seinem Schreibtisch zu sitzen, aus dem Fenster zu starren und zu sinnieren. Gelegentlich, so wußte man, nahm der Herr auch nachts, wenn die Knackerlaken wach waren und Ihn beobachten konnten, eins, mehrere oder gar etliche der vielen Bücher, die an den Wänden des Sinnierzimmers aufgereiht waren, setzte sich damit in den Mußeraum und las darin. Eine der ersten Lektionen, die Knackerlaken im zweiten oder dritten Stadium beigebracht bekamen, war das Gebot, den verlockenden Leim in den Einbänden dieser Bücher in Ruhe zu lassen. So eßbar er auch war, so nahrhaft er sogar war und so schmackhaft er auch sein mochte, das Verzehren des Einbandleims wäre eine ernstliche Kränkung des Herrn gewesen, eine unverzeihliche Sünde, und keine Knackerlake rührte die Bücher an.
Aber weder sinnierte der Herr an diesem Morgen, noch las Er ein Buch. Er saß an seinem Schreibtisch an der Maschine, die nach dem Schildchen, das Chid entzifferte, SelecTrick hieß. Ein Name, der sich vielleicht auf die Tricks bezog, die der Herr sie vollführen ließ, gewöhnlich dadurch, daß Er auf die fünfzig Augen des wilden Tieres einschlug, woraufhin ein tanzender Globus Wörter auf Bögen von gelbem Papier ausschüttete. An diesem Morgen aber wählte Er weißes Papier, um es in die SelecTrick zu stecken.
Dem mächtigen Drang widerstrebend, doch schnell hinunterzuklettern und einen der vielen Haferkekskrümel aufzulesen, die dem Herrn fortwährend aus der Hand fielen, und nach Kräften bemüht, den Dämpfen des Kaffees zu entgehen, die seine Schnüffelruten beleidigten, saß Hochwürden Chidiock Tichborne auf der Schulter des Herrn und sah zu, wie dieser Tricks mit seiner SelecTrick vollführte.
Die ersten Buchstaben gaben den Wochentag, nämlich Samstag, an, was der Geistliche ohne Probleme entzifferte, dann folgten der Monat, Mai, das Datum und das Jahr. Der Herr klopfte und stocherte auf den Augen der SelecTrick herum, so daß ihr tanzender Globus hin und her hüpfte und flitzte. Und der Herr tippte: »Liebe Sharon«, hielt einen winzigen Moment lang inne und trickste dann den ganzen Vormittag und einen Großteil des Nachmittags herum.
11.
Ganz bestimmt, dachte Tish, als sie im ersten Abenddämmer erwachte und feststellte, daß ihre Eltern nicht zurückgekehrt waren, ganz bestimmt werden sie jeden Augenblick heimkommen, jetzt, wo die Sonne untergegangen ist. Sie hieß alle Kinder warten mit der Suche nach der ersten Mahlzeit dieser Nacht, damit sie Daddy und Mama bei ihrer Rückkehr begrüßen konnten. Aber es wurde vollends dunkel, und alle waren hungrig genug, bald auch Erde zu essen, und immer noch war nichts von den Eltern zu sehen. Die älteren Kinder hielten ihre Schnüffelruten auf Empfang und suchten nach dem ersten Hauch von Jack und/oder Josie Dingletoon. Jubal, voller Tatendrang, erhielt von Tish die Erlaubnis, den Klotz zu verlassen und durch Carlott in Richtung des Heiligen Hauses zu laufen, um die Heimkehr der Eltern auszukundschaften. Als Jubal nach einer Stunde nicht zurück war, machte sich Tish auf die Suche und fand ihn auf dem verlassenen Tanzboden sitzend. Er blickte zum Heiligen Haus hinüber und ließ langsam seine Schnüffelruten in alle Richtungen schwingen.
»Du kannst ebensogut nach Hause kommen, Jubal«, sagte seine ältere Schwester. »Sieht nicht so aus, mein Junge, als ob sie heute nacht noch zurückkommen.«
Jubal stand auf und schaute sich um. »Wo hat der Herr gelegen?« fragte er.
»Genau da drüben«, sagte Tish und zeigte mit einer Schnüffelrute hin. Der Abdruck vom Leib des Herrn war immer noch im Gras zu erkennen. »Sein Kopf lag da, und Seine Füße waren weit dort drüben, und dort hinten ist die Stelle, wo ich Seinen Finger berührt habe.«
Der Junge stieg vom Podium herunter und ging langsam mit seiner Schwester zurück nach Hause. Nach einer Weile hob er den Kopf und blickte mit emporgerichtetem Gesicht, mit Sternguckern und großen Augen gleichermaßen, zu den Sternen hinauf, deren kalter Puls in den schwarzen Räumen hoch oben schlug, weit fort in stiller Entfernung zu diesen beiden flackernden Flämmchen Knackerlakenlebens. Jubal fragte Tish, wie weit diese funkelnden Lichter entfernt seien und ob der Mann auch Herr sei über all jene Welten, so wie Er Herr über diese war.
»Hast du mir nicht mal erzählt, die Sterne seien Welten, Tish?« fragte er sie.
»Ja.«
»Alle wie unsere, mit
Weitere Kostenlose Bücher