Tanz der Kakerlaken
selbst überrascht, von der Leichtigkeit, mit der er mit einem weiblichen Wesen redete. Ach, wenn er doch nur ihre eingestreuten anerkennenden Kommentare, ihre genußvollen Seufzer, ihr entzücktes Schnurren hätte hören können, doch allein den Ausdruck auf ihrem Gesicht sehen zu können war schon Belohnung genug.
Die Uhr verkündete die zwölfte und letzte Stunde: »TUTTIFRUTTI!« Dann war es still. »Mitternacht«, erklärte Sam. Er kam sich geistlos vor und wurde verlegen.
Sie wünschte, sie könnte mit ihm reden. Junker Sam hatte, so dachte sie, obwohl er wie sie selbst ein sterbliches Geschöpf war, etwas mit dem Schicksal-Ding gemeinsam: Beide waren taub. Das Schicksal-Ding konnte ihr Bitten oder Flehen nicht hören; ihre Bedürfnisse waren ihm vollkommen gleichgültig. Vielleicht, so überlegte sie, war Junker Sam gar nicht wirklich taub, sondern einfach nur gleichgültig, wie das Schicksal-Ding. Sie wünschte, sie könnte ihn wenigstens fragen, ob er an irgend so etwas wie das Schicksal-Ding glaubte.
Da ihm nichts anderes einfiel, fragte er: »Möchtest du das Uhrwerk sehen?«, und ohne ihr Kopfnicken abzuwarten, befahl er: »Komm, da geht's rauf«, und begann mit ihr eine Besichtigungstour durch das komplizierte Innenleben der Uhr, sie davor warnend, daß ihre Krabbler bloß nicht in eines der Zahnräder gerieten. »Dies hier«, er zeigte darauf, »ist das Große Rad, dessen Klinken durch die Hauptfeder dort drüben reguliert werden, die alle acht Tage von der Frau des Parthenon aufgezogen wird. Kennst du Sie? Und hier haben wir das Ritzel, das sich mit dem Großen Rad dreht und durch das Zifferblatt dort drüben geführt wird, wo es mit dem Minutenzeiger der Uhr verbunden ist, der jede Stunde einmal um das Zifferblatt herumläuft und so die sechzig Minuten der Stunde mißt. Dieses Ritzel hat nur ein Zwölftel soviel Zähne wie das Große Rad, siehst du? Kennst du dich mit Bruchrechnung aus?« Er versuchte, ihr die mathematischen Verhältnisse der diversen Ritzel und Räder zu erklären, aber Mathematik war eindeutig zu hoch für sie, so hoch wie die Ritzel und Räder über ihrem Kopf. Als sie weiter hinauf in die Uhr stiegen, sagte er: »Dies ist die ›Hemmung‹ oder ›das tote Entkommen‹. Weißt du, was ›tot‹ bedeutet? Die Menschen verwenden den Ausdruck als Euphemismus für ›im Westen‹. Natürlich ist dieses Dings hier weder im Osten noch im Westen, sondern dient in Wirklichkeit dazu, die Energie der Feder auf das Pendel zu übertragen und nach jedem Ruck ›tot zu fallen‹ – das heißt, nach jedem Ruck nach Westen zu gehen –, sieh genau hin, da – klick, klick, tot, klick, klick, Westen – verstehst du?« Wie kommt es bloß, daß ich so auf ein Mädchen einrede? wunderte er sich über sich selbst und kam zu dem Schluß, daß es die Wirkung des Ginseng sein müßte.
Warum erzählt er mir das alles? fragte sie sich, geschmeichelt, daß ein so gutaussehender, aber schrecklich schüchterner Bursche ihr gegenüber plötzlich so mitteilsam wurde. Vielleicht, so überlegte sie, macht er mich mit allem in seiner Uhr vertraut, damit ich hier wohnen kann! Würde er sie wirklich fragen, ob sie hier bei ihm wohnen wolle? Aber würde sie wirklich in so einer lauten Umgebung wohnen wollen?
»Die Idee, die hinter dem ›toten Entkommen‹ steckt«, sagte er, »ist eine fast poetische Metapher für ein Entkommen durch den Tod, oder ein Entkommen durch Verwesterung, und das bringt uns zur Eschatologie und führt uns gefährlich nahe an die Vorstellung von der Entrückung, wie sie euer Chrustenpriester Hochwürden Tichborne predigt. Aber du weißt nichts von Eschatologie, oder, Tish? Ich muß dir mal alles darüber erzählen, aber nicht heute nacht. Steig hier rauf, noch ein Stück, wir befinden uns fast ganz oben in der Uhr. Ja, dieser Träger, auf dem wir hier stehen – guck, wie er dort drüben überhängt –, ist mit der Scheibe dort verbunden und trägt die alleroberste Spitze des Pendels. Die Scheibe heißt Unruhscheibe, aber die meisten Leute hier nennen sie den … den Schwanz.« Er musterte sie genau, um das leiseste Rotwerden oder Zucken an ihr zu bemerken, aber sie schien ungerührt, deshalb fragte er tapfer: »Hast du schon mal das Wort ›Schwanz‹ gehört?« Aber ihr Gesicht war ausdruckslos, als könnte sie mit Schwanz genausowenig anfangen wie mit ›Eschatologie‹. Er wollte ihr erklären, wie der Schwanz über der Hemmung schwebt und daß er ein Symbol oder eine Metapher
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