Tanz der Kakerlaken
Schmerzen gequält wurde. Archy hatte so hübsche große Augen. Und eine so ungezwungene Art. Als Sohn eines Geistlichen schien er der Verwundung und der Pein des Herrn fast gleichgültig gegenüberzustehen. Oder vielleicht wußte er als Sohn des Geistlichen Dinge über den Herrn, die sie nicht wußte. Er wußte vielleicht, daß der Herr unsterblich war und nicht verwestern konnte.
»Wenn Er nicht laufen kann, wie soll Er dann etwas zu essen bekommen?« fragte sie.
»Wer?«
»Der Herr.«
»Oh, Der. Ist Er das einzige, woran du denken kannst in einem Augenblick wie diesem?«
»Wie was?«
»Wie hier und jetzt, wie dies hier: Ich halt' dich mit meinen beiden Schnüffelruten fest, Baby.« Archy küßte sie aufs neue, voll auf die Lippen.
Tish hatte dem Ammenmärchen geglaubt, daß ein Mädchen, wenn sie einmal die Murmel eines Jungen in sich hat, keine Pheromone mehr aussenden könne. Deshalb war sie überrascht, als sie ein winziges bißchen ihres speziellen Parfüms absonderte und nicht vermeiden konnte, daß sie Archy, in der Enge dieses Korridors in der Wand, sanft besprühte.
»Mmmmh«, sagte er und zuckte mit den Schnüffelruten. »Wow, Zuckerpüppchen. Wenn du nicht aufpaßt, fängt noch mein Affy-Dizzy an auszulaufen.«
Es gab noch ein anderes Ammenmärchen, das aber mit Sicherheit stimmen mußte: »Wenn ein Mädchen erst einmal die Murmel eines Jungen in sich hat, kann sie keine andere aufnehmen.« Deshalb war sie, als sich Archys Flügel hoben und einen mit Affy-Dizzy bedeckten Rücken zum Vorschein brachten, in der Lage, trotz ihres Hungers zu widerstehen.
»Komm schon, Liebling, probier mal«, drängte er.
»Danke, ich hab heute nacht schon gegessen«, log sie.
»Was?« Er blickte sie verwundert an. »Kein Mädel kann sich bei Affy-Dizzy zurückhalten, ganz gleich, wieviel sie schon gegessen hat«, erklärte er, als ob sie es nicht wüßte.
Drinnen in der Wand war es so gemütlich und behaglich und romantisch. Draußen donnerte und donnerte es, und der Regen trommelte unaufhörlich. In ihrem ganzen Leben hatte Tish noch kein solches Gewitter gehört, gesehen, gerochen oder gefühlt, und sie begann sich zu fragen, ob es nicht mehr war als bloß ein heftiges Unwetter. Der Herr hatte sich Selbst angeschossen. Die Welt veränderte sich. Vielleicht war das Ende der Welt nahe. Vielleicht waren all diese schrecklichen Geräusche dort draußen nicht bloß Donnerschläge, sondern Die Bombe.
Beinahe geistesabwesend streckte sie ihren Taster aus, tauchte ihn in das Affy-Dizzy und steckte es in den Mund.
20.
Zur Hölle mit diesem mannverdammten Prediger, fluchte Doc Swain vor sich hin, während er zwischen den Körpern der Toten und Verletzten umherhumpelte. Dann kicherte er unwillkürlich über die bittere Ironie seines Fluches: Es war der Mann gewesen, der mit Seiner Verdammung dieses Massaker angerichtet hatte. Bedauerlicherweise hatte Er nicht den Hundesohn von einem Prediger verdammt, sondern den Osten aus mehreren braven Leuten herausgetrieben: Dort lagen die zerfetzten Überreste von Fent Chism, für den jede Hilfe zu spät kam. Hier waren einige Leute bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht, obwohl eine der Leichen wie der alte Jonce Ledbetter roch, und vom Rande eines frischen Einschußlochs hob Doc eine zerbrochene Schnüffelrute auf, roch daran und identifizierte sie als den Überrest von IIa Frances Tichborne, des Predigers eigenes Eheweib. Wo war der Prediger? War ihm alles so egal? Vielleicht, dachte Doc, hatte dieser letzte Schuß den Prediger erwischt. Aber nein, es war klar, daß der letzte Schuß dem Mann geradewegs in den eigenen Krabbler gedrungen war, zwischen dem Tarsus und Metatarsus; die Kugel hatte den Schuh durchschlagen, war durch die Sohle wieder ausgetreten und hatte ein weiteres – blutiges – Loch im Fußboden hinterlassen. »Tut mir leid, Meister, ich kann nichts für Sie tun«, sagte Doc respektlos zu dem Mann, der mit starken Schmerzen auf Seiner Couch lag. »Aber wenn ich Sie wäre, würde ich aufstehn und mehr als ein Pflaster auf das Ding da tun.« Doc wandte seine Aufmerksamkeit vom blutenden Mann ab und den blutenden Knackerlaken zu, denen, die noch einen Funken Osten im Leib hatten und seine Hilfe brauchen konnten. Horace Stapleton war der ganze Mitteldarm von dem herabfallenden Revolver zu Brei zerquetscht worden und bereits im Westen, aber sein Eheweib Martha war noch ein Stück weit im Osten, lediglich der Thorax war eingedrückt, das Abdomen aber fast
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