Tanz der seligen Geister (German Edition)
Schwierigkeiten brachte, denn diese Schwierigkeiten waren ein getreuer Ausdruck meiner eigenen unbequemen Natur – ebender Natur, die meine Mutter veranlasste, mich bei jeder Gelegenheit, die traditionell Gefühle von Mutterstolz hervorruft (wie mein erster Tanzstundenball oder meine exzessiven Vorbereitungen für die Aufnahme ins College), mit einem Ausdruck von nachdenklicher und faszinierter Verzweiflung zu betrachten, als könne sie nicht erwarten und auch nicht verlangen, dass es bei mir wie bei anderen Mädchen lief; die erträumte Ausbeute der Töchter – Orchideen, nette Jungen, Brillantringe – würde zu gegebener Zeit von den Töchtern ihrer Freundinnen heimgebracht werden, aber nicht von mir; sie konnte nur auf eine kleinere Katastrophe statt einer größeren hoffen – dass ich zum Beispiel mit einem Jungen durchbrannte, der niemals für den Lebensunterhalt sorgen konnte, statt einem Mädchenhändler in die Hände zu fallen.
Aber Unwissenheit, sagte meine Mutter, oder Unschuld, wenn du so willst, ist nicht immer so etwas Feines, wie viele denken, und ich bin mir nicht sicher, ob sie für ein Mädchen wie dich nicht gefährlich ist; und wie es ihrer Gewohnheit entsprach, untermauerte sie dann ihre Befürchtung mit einem Zitat, das von naiver Schwülstigkeit war und nach Mottenkugeln roch. Ich zuckte mit keiner Wimper, denn ich wusste nur allzu gut, dass es bei Mr. Berryman Wunder gewirkt haben musste.
Der Abend, an dem ich bei den Berrymans das Baby hütete, muss im April gewesen sein. Ich war das ganze Jahr über verliebt gewesen oder zumindest seit der ersten Septemberwoche, als ein Junge namens Martin Collingwood mir in der Schulaula ein überraschtes, anerkennendes und bedenklich selbstgefälliges Lächeln geschenkt hatte. Ich habe bis heute keine Ahnung, was ihn überraschte; ich sah wie niemand anders aus, nur wie ich; ich hatte eine alte Bluse an, undmeine selbstgemachte Dauerwelle war nicht gut geraten. Ein paar Wochen danach führte er mich zum ersten Mal aus und küsste mich auf der dunklen Seite der Veranda – auch, muss ich hinzufügen, auf den Mund; ich weiß genau, es war das erste Mal, dass jemand mich mit nachhaltiger Wirkung küsste, und ich weiß auch noch, dass ich mir am Abend und auch am Morgen danach nicht das Gesicht wusch, um den Abdruck dieser Küsse zu bewahren. (Ich benahm mich im Verlauf dieser ganzen Affäre aufs Allerpeinlichste, wie Sie bald erfahren werden.) Zwei Monate und ein paar verliebte Stadien später ließ er mich fallen. Er war für das Mädchen entflammt, das ihm auf der Bühne gegenüberstand, in der Weihnachtsaufführung von Stolz und Vorurteil .
Ich sagte, dass ich mit dem Stück nichts zu tun haben wollte, und überredete ein anderes Mädchen dazu, an meiner Stelle das Schminken zu übernehmen, aber ich ging natürlich in die Vorstellung und setzte mich in eine der vorderen Reihen mit meiner Freundin Joyce, die meine Hand drückte, wenn mich Schmerz und Entzücken übermannten beim Anblick von Mr. Darcy in weißen Kniebundhosen, seidener Weste und mit Koteletten. Martin als Darcy zu sehen brach mir endgültig das Genick; ohnehin ist jedes Mädchen in Darcy verliebt, und die Rolle verlieh Martin eine herrliche, arrogante Männlichkeit, die mich völlig vergessen ließ, dasser nur ein Oberstufenschüler war, von leidlich gutem Aussehen und mittlerer Intelligenz (und dazu mit einem nicht ganz makellosen Ruf wegen seiner Vorlieben für den Theaterclub und die Blaskapelle), der zufällig der erste Junge war, der erste vorzeigbare Junge, der Interesse an mir bekundete. Im letzten Akt erhielt er die Gelegenheit, Elizabeth (Mary Bishop, blass, keine Figur, aber große, lebhafte Augen) zu umarmen, und während dieser realistischen Begegnung grub ich meine Fingernägel heftig in die mitfühlende Hand von Joyce.
Dieser Abend war für mich der Anfang von monatelangem, durchaus echtem, wenn auch mehr oder weniger selbstzugefügtem Elend. Warum ist man versucht, so etwas leichthin zu behandeln, mit Ironie, sogar mit Erstaunen darüber, dass man in der unerklärlichen Vergangenheit selbst solche grotesken Gefühle hegte? Wir neigen zu dieser Haltung, wenn wir von der Liebe sprechen, und gegenüber pubertärer Liebe ist sie praktisch Pflicht. Man sollte denken, wir sitzen an langweiligen Nachmittagen herum und vertreiben uns die Zeit mit diesen amüsanten Erinnerungen an Schmerz. Aber es stimmt mich eigentlich nicht sehr fröhlich – schlimmer noch, es kann
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